Alle Beiträge von Manfred Rosen

Zazenkai in Nürnberg

Zazenkai mit Manfred Rosen 

Samstag, 09.12.2017 von 09.00 bis 16.00 Uhr
An diesem Samstag gibt es in unserem Zendo die Gelegenheit Manfred Rosen kennen zu lernen. Er ist Zenmeister unserer Zenlinie „Leere Wolke“ und wird uns mit seiner natürlichen Präsenz und Herzlichkeit durch den Zazenkai führen. 
Das gemeinsame Sitzen (Zazen), ein Vortrag (Teisho) und die Möglichkeit zum Einzelgespräch (Dokusan) strukturieren den Tag.

Das Mittagessen werden wir gemeinsam im Zendo in Stille einnehmen, im Anschluss besteht das Angebot zum geführten Kinhin im Freien.

Kursgebühr 35.- Euro.

Alle Veranstaltungen finden statt im

Zendo Nürnberg, Adam-Kraft-Straße 1, 90419 Nürnberg
Wir bitten um rechtzeitige Anmeldung per Mail an

info@zen-nuernberg.com
 

Missbrauch

Was ist Zen?

Wenn es das ist, was gerade ist und so wie es ist, dann ist es eben das ganze Leben gerade jetzt.

Dazu gehört dann nicht nur das, was unseren Wünschen, Träumen und Idealen entspricht darüber, wie die Wirklichkeit zu sein hat, sondern alle Erscheinungsformen unseres Lebens. Also das ganze Leben in seiner unendlichen Vielfalt, wie es gerade geschieht mit allen Schönheiten und Grausamkeiten.

Dazu gehört also auch all das, was Menschen anderen Menschen antun und anderen Lebewesen und dem Leben überhaupt auf dieser wunderbaren Erde.

Da Leben aber nichts Beständiges ist sondern in ständiger Entwicklung und Veränderung, stehen wir Menschen als diejenigen Wesen, die zur Reflektion fähig sind in der Verantwortung, uns zu entwickeln und zu verändern, um die Welt jeden Tag ein Stückchen besser zu machen.

Besser machen heißt hier nicht, die Wirklichkeit nach unseren individuellen Vorstellungen von Bessersein zu verändern sondern jeweils ganz genau hinzuschauen, was konkret zu tun ist, um das Leben insgesamt zu bewahren und zu fördern.

Dazu gehört zweifellos der Respekt und die Achtung vor und das Mitgefühl zu jedem einzelnen Lebewesen.
Jeden Tag sind wir vielfach Zeuge davon, dass dieser Respekt und dieses Mitgefühl fehlt. Besonders schmerzhaft ist es dann, wenn Täter unser besonderes Vertrauen hatten, weil sie uns persönlich nahe stehen oder Institutionen angehören, denen wir vertrauen und die für sich den Anspruch verbreiten, in Nächstenliebe und mit Mitgefühl zu handeln.
Seit Jahren stehen Verantwortungsträger der katholischen Kirche immer wieder im Fokus, ihnen anvertraute Kinder sexuell missbraucht zu haben.

In Augsburg wurde gerade ein Zen-Priester wegen Missbrauchs von anvertrauten Kindern zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt.

Darüberhinaus stehen immer wieder buddhistische Lehrer, auch Zen-Lehrer in der Kritik, intime Beziehungen mit erwachsenen Schülern und Schülerinnen einzugehen, unter anderen der sehr bekannte tibetische Lehrer Sogyal Rinpoche.

Es gibt den Missbrauch von Menschen durch Menschen, nicht nur im sexuellen, aber eben gerade in diesem für jeden Menschen besonders intimen und schutzbedürftigen Bereich.

Diesen Missbrauch darf es nicht geben und es gibt ihn doch. Ständig und vielerorts geschieht es und es gibt keine Rechtfertigung dafür außer vielleicht die, dass wir als Menschen eben so sind, wie wir sind.

Nicht nur achtsam, mitfühlend und liebevoll sondern schwach, unzulänglich, voller Fehler und den eigenen Leidenschaften unterworfen. Aber mit dem Potenzial, uns zu verändern und anderen Menschen und dem Leben als solches weniger Leid zuzufügen.
Dass nun gerade Menschen, die für sich einen hohen Anspruch formulieren und sich mit christlicher Nächstenliebe, buddhistischem Ethos oder einer Lebenshaltung aus der Zen-Erfahrung identifizieren, was immer sie sich darunter vorstellen, die also von Achtsamkeit und Mitgefühl predigen, auch missbrauchen und damit ihren Opfern unermessliches Leid zufügen, ist kaum auszuhalten.

Aber es kommt dennoch immer wieder vor. Es ist immer wieder eine große Enttäuschung für uns. Gerade von solchen Menschen erwarten wir es nicht, weil wir sie als Vorbilder sehen in der Bewältigung unserer eigenen Leidenschaften.
Es ist wichtig, vor diesen Taten die Augen nicht zu verschließen, sondern sich damit offen auseinanderzusetzen.

Insoweit ist auch die Veröffentlichung solcher Informationen wichtig. Das die Medien dabei wenig differenziert berichten und zu Verallgemeinerungen greifen, ist so.

Was den Fall in Augsburg angeht, da ist von einem Zen-Priester, einem Zen-Mönch, gar einem Zen-Meister die Rede, von einem Menschen, der sehr engagiert war in einer bestimmten Gruppierung, die sich als buddhistisch versteht und soweit ich weiß offensichtlich auch eine gewisse Legitimation von einer japanischen Rinzai-Zen Linie hat.
Buddhismus und Zen sind Begriffe, unter denen sich eine Vielzahl unterschiedlicher Strömungen versammeln, die sich zwar alle auf Buddha Shakyamuni berufen, aber völlig unterschiedliche Interpretation seiner Erfahrung und seines Weges vertreten.

Zen und Buddhismus sind nicht das gleiche, Zen geht über das, was der Buddhismus lehrt und lebt, weit hinaus, nicht, weil Zen ein erweitertes Konzept von was auch immer ist sondern weil Zen das Leben als solches und als ganzes gerade jetzt verkörpert.

Die Details aus Augsburg sind mir nicht bekannt, aber ich bezweifle sehr, dass der geständige Täter Dorin G. tatsächlich ein authentischer Zen-Meister ist.

Dafür gibt es einfach zu viele selbsternannte Meister. Aber auch das ist nicht der Punkt. In der Vergangenheit haben auch Menschen, die tatsächlich über eine traditionelle Übertragung als Zen-Meister verfügten, missbraucht, wenn auch nicht unbedingt im juristischen Sinne. Denn ich halte auch intime Beziehungen zu erwachsenen Schülern und Schülerinnen für eine Form des Missbrauchs.

Es wird immer wieder diskutiert, inwieweit intime, also sexuelle Beziehungen zwischen Meistern, Lehrern und Schülern beziehungsweise Schülerinnen legitim sind. Es gibt sogenannte buddhistische Wege in Europa, deren Gründer und Gurus sich rühmen, mit Hunderten ihrer Schülerinnen bereits geschlafen zu haben.

Abgesehen davon, dass ich immer wieder darüber überrascht bin, wieviele Anhänger dieser Schulen dieses Spiel mitspielen, ich halte derartige intime Beziehungen in keinem Fall für legitim.

Selbst wenn, wie in unserer Linie „Leere Wolke“, der Zen-Linie von Willigis Jäger, Meister und Lehrer ihren Schülern auf Augenhöhe begegnen wollen, sind wir doch einer Vielzahl von Projektionen ausgeliefert und es bleibt häufig ein gewisses Macht- und Einflussgefälle zwischen Lehrern und Schülern.

Niemand hat das Recht, das auszunutzen. Es liegt in der Verantwortung des Lehrers, damit überaus sorgfältig umzugehen und Schüler nicht auszunutzen, egal in welcher Beziehung.

Wenn sich Schüler oder Schülerinnen in ihren Lehrer oder Meister verlieben oder umgekehrt, dann ist das natürlich möglich aber jede Form von Schülerschaft muss zunächst beendet werden, bevor aus dieser Verliebtheit eine intime Beziehung entsteht.

Auch wenn die Liebe der grundlose Grund ist, aus der alles entsteht und die nichts ausschließt. Zu ihr gehört dann eben auch die Fähigkeit zur Verantwortung. Ich habe eine Wahl zu treffen, ich kann mich entscheiden. Nicht alles, was möglich ist, vor allem nicht alles, was ich wünsche und begehre, muss ich auch verwirklichen. Auch wenn es dieses Ich als Subjekt im Grunde genommen gar nicht gibt.

Es gibt aber die Tat und jede Tat hat Folgen.

Was können wir tun?

Was können wir tun?In einem der einflussreichsten Machtzentren unserer Welt sitzt ein Verrückter. Was können wir tun angesichts dieser Bedrohung für den Frieden und das Zusammenleben auf unserer Welt? Und angesichts der Tatsache, dass er über einen demokratischen Prozess in dieses Amt gekommen ist und Millionen von Anhängern ihm scheinbar willenlos folgen und ihn beständig in seinem Narzissmus bestätigen. Dieser Prozess erinnert an ein Déjà vue unserer jüngeren Geschichte, haben wir sowas nicht schon einmal gehabt mit überaus schrecklichen Folgen für unser Menschsein und das Leben überhaupt? Für viele ist diese Erfahrung besonders schmerzhaft, die geglaubt haben, in unsere Menschheitsentwicklung diese Phase bereits überwunden zu haben und in ein Zeitalter der Zusammenarbeit und Überwindung von Grenzen eingetreten zu sein. 

Das Ganze wird noch bedrückender durch die Tatsache, dass auch in Europa immer mehr Verrückte an Einfluss gewinnen und in verschiedenen Ländern sogar bereits die Regierungsverantwortung übernommen haben. Statt Kooperation und Mitgefühl für die Schwachen geht es um Ausgrenzung und Nationalismus, gepaart mit der Kultivierung eines übersteigertem Individualismus. Noch mehr Egozentrik als bisher zur Lösung unserer Probleme. 

Wo kommen die Verrückten plötzlich alle her? Verrückt heißt, nicht bei Sinnen zu sein, geistesgestört zu sein. Aus der Perspektive spiritueller, erwachter Traditionen sind wir das mehr oder weniger alle. Über unsere Sinne können wir die Wirklichkeit recht unverfälscht wahrnehmen, wir konstruieren dann aber kontinuierlich verzerrende Konzepte und fragmentarische Geschichten, die wir schließlich mit der Wirklichkeit als solche verwechseln. Insoweit sind wir alle ver-rückt, wir nehmen die Welt nicht so wahr, wie sie ist sondern nur noch so, wie wir sie uns konstruiert haben. Diesen einen Prozess, der das Leben ist und in dem alles zusammengehört und miteinander wirkt, haben wir verdinglicht und aufgespalten in eine Vielzahl von scheinbaren Gegensätzen. 

Durch unsere Übungspraxis versuchen wir unsere Wahrnehmung und das sich daraus entwickelnde Verständnis für die Welt gerade- zu-rücken, um das zu erfahren, was ist und wie es ist, statt uns in illusorischen Konzepten zu verrennen. Wer in der Übung steht, erfährt diese nicht-duale Sicht auf die Welt, mehr noch, er erfährt sich als diese Wirklichkeit in all ihren Erscheinungen. Aus dieser einen und einenden Erfahrung erwächst Mitgefühl und Liebe, auch für diejenigen, die Ausgrenzung und Hass schüren. 

Was können wir also tun aus unserer Erfahrung heraus und angesichts der derzeitigen Umstände? Ein Verhalten, dass nun seinerseits Ausgrenzung provoziert, ist keine Lösung. Unsere Lösung bleibt Achtsamkeit, Präsenz und Mitgefühl allem gegenüber in jedem Augenblick. Das fällt immer wieder schwer, aber deshalb üben wir ja, halten inne, schauen, atmen ein, atmen aus, kommen zur Besinnung und lassen zu, dass Lösungen ihre Zeit brauchen und unser Herz, um sich adäquat zu entwickeln. Das mag naiv klingen, scheint aber die einzige Alternative zu sein, weil sie aus der Wirklichkeit kommt, so wie sie ist. 

Brücken immer wieder neu bauen, Grenzen immer wieder neu überwinden, die eigene Hand immer wieder neu reichen. Immer wieder das gerade rücken, was ver-rückt ist. Sich nicht verstecken, sich nicht zurückhalten, sich zu dem bekennen und zu dem stehen, was in eigener Übungspraxis erlebt und erfahren wird. Jetzt und immer wieder. 

Kein Ziel, nur dies!

Es scheint so zu sein, dass es im Buddhismus um ein Ziel geht, das zu erreichen ist: „Aufwachen“, „Erwachen“ oder vielfach zu lesen und zu hören „Erleuchtung“. 
Dem historischen Buddha Shakyamuni war eben dieses Aufwachen nach einer langen und entbehrungsreichen Suche widerfahren. Aus dieser Erfahrung heraus versammelte er viele Schüler um sich und versuchte, diesen auf vielfältige Art und Weise seine Erfahrung nicht nur nahezubringen sondern sie vor allem dazu zu befähigen, eine identische Erfahrung zu machen. Im Laufe der Geschichte entstanden, abhängig von jeweiligen historischen Kontexten, unterschiedlichen kulturellen, sozialen, gar politischen Einflüssen, aber auch von den didaktischen Fähigkeiten einzelner Erwachter, eine Vielzahl unterschiedlicher Pfade mit einem Ziel.  
Diese bilden auch heute noch dieses weite Feld praktischer Übungen, philosophischer Spekulationen und religiöser Abhandlungen und Rituale, welches wir im Westen als Buddhismus eher weniger als mehr kennen. Je nach Ausrichtung und Lehre einer buddhistischen Schule wird das Erreichen des Ziels entweder wenigen Auserwählten, vielen eifrig Übenden oder gleich allen Lebewesen verheißen. 
Unabhängig von einer besonderen spirituellen Erfahrung führt die Befolgung des achtfachen Pfads, der weiteren daraus abgeleiteten Gebote und ethischer Normen zu einer harmonischen, ausgeglichenen und friedlichen Lebensführung, die wir, verstärkt durch unsere Projektionen, bei Buddhisten so schätzen. 
Zusammengefasst, es gibt ein Ziel, das zu erreichen und zu verwirklichen ist. Dieses Ziel liegt in einer Zukunft, dorthin zu kommen bedarf einer Anstrengung. Einmal erreicht, ist alles gut. 
Ganz anders das Verständnis des Zen. Zen ist nicht Buddhismus, auch wenn es als eine kleine Schule innerhalb des Buddhismus gilt und sich in seiner Tradition über das Erwachen Shakyamuni Buddhas und bei Buddha beginnend mit der persönlichen Übergabe dieser Erfahrung (von Herz zu Herz) von Meister zu Meister legitimiert. Vielfach sind Zen und Buddhismus in der historischen Überlieferung auch derart verschränkt, das häufig von Zen-Buddhismus die Rede ist und in der Präsentation und der Praxis vor lauter buddhistischer Inhalte und Rituale das Wesen des Zen nicht oder nur schwer zu erkennen ist. 
Das Zen hat nämlich einen ganz anderen Ansatz. Es geht sehr wohl um Erfahrung, aber um die Erfahrung als solches in diesem Augenblick, um die Erfahrung dessen, was ist und wie es ist, also ohne Vorstellungen, Konzepte und Illusionen. 
Es geht dabei nicht um einen Schulungsweg, der über das Studium von Schriften und ihrer Rezitation, der Ausübung von Ritualen, dem Befolgen von Geboten und dem Durchlaufen hierarchischer Strukturen irgendwann ein spirituelles Erfolgserlebnis verspricht. 
Es geht vielmehr um eine jederzeit mögliche, unmittelbare Erfahrung dessen, was von Anbeginn und unendlich ist, die ungeteilte und unteilbare, grundlose Einheit, das „nicht-zweiende“ des Augenblicks, alles und jedes einschließend, umschließend und kreierend. Eine Einheit, die sich in jedem Phänomen als dieses Phänomen ausdrückt. Darum im Zen auch als Leere bezeichnet. 
Es gibt im Zen also nichts zu erreichen, weil schon alles erreicht ist. Erwachen ist unser natürlicher Zustand. Ich kann also gar nicht aufwachen, ich kann nur realisieren, dass ich bereits erwacht bin. Darum geht es in der Übung. 
Wir sitzen also nicht, um zu, auch wenn es in der Art der Formulierung so scheint, als gebe es etwas in der Zukunft zu realisieren. Es gibt keine Zukunft, in der eine wie auch immer geartete Belohnung für meine Mühen warten würde. Das klingt paradox und unverständlich und offenbart sich eben erst in der Übung. 
Es geht immer nur um die Präsenz im Augenblick, gleich ob sinnlich erspürt, gefühlsmäßig erlebt oder gedanklich abstrahiert. Mein Nicht-Verstehen ist es auch schon und war es schon immer. 
Solange ich meine notwendige Ich-Struktur und ihre Fähigkeit, diese Welt zu erkennen und über Vorstellungen und Konzepte zu gestalten, verabsolutiere und damit trenne von der mich konstituierenden, ursprünglichen und offensichtlichen alles umfassenden Wirklichkeit als solche, fällt mir die Einsicht schwer. Im einfachen und vollkommenen Sitzen, unserem Za-Zen,  aber tritt diese Ich-Struktur zurück und es bleibt nur sitzen und atmen in absoluter Stille. Da ist dann wirklich kein Ich mehr, das irgendwo herausfallen könnte. 
Das gilt auch, obwohl es vielen Zen-Schülern so scheint, es gebe doch über Koan-Schulung und hartes Training in Sesshins eine Art von Erwachen, das man sich erarbeiten könnte. Es geht aber im Grunde nur um ein Ringen um Täuschungen, auf die wir so gerne immer wieder hereinfallen. Die Täuschung, einmal durchschaut, löst sich auf, genau in das Nichts, das sie schon immer war. 
Zen ist also total radikal, lehnt jede Spekulation und jeden besonderen Ausdruck ab, aber auch jede Institution, jede Tradition, jede Moral. Dennoch gibt es Zen-Traditionen, Zen-Tempel und Zen-Mönche. Sie können wunderbare Offenbarungen der Leere sein, sind aber nicht wichtiger oder wesentlicher als dieser Stein dort oder jener Baum, unserer Luft zum Atmen und unser Niesen, wenn etwas in der Nase kitzelt. 
Zen wurzelt im Gewöhnlichen und Alltäglichen. Vor allem aber in dem Einem, Einzigen und Einenden. Ein anderes Wort dafür ist Liebe. Daraus entsteht Mitgefühl. Was könnte noch darüber hinaus gehen?   

Lauschen – Schauen – Spüren

Eigentlich wissen wir sehr viel von dem, worum es in unserem Leben geht, wobei „wissen“ vielleicht das falsche Wort ist, wir spüren es. 
Dementsprechend ist Sprache ein eher ungeeignetes Mittel, zu verdeutlichen, worum es geht. Zumindest, solange sie mit Begriffen operiert, vor allem mit Substantiven.
Es geht nämlich im Lebendigen nicht um Zustände sondern um Prozesse, also scheinen Verben geeigneter. Oder Bilder, mit denen ich Inhalte teilen kann ohne sie näher zu beschreiben. Bilder verstehen wir eher, weil sie uns an etwas erinnern können, was wir schon kennen ohne es benennen zu können. Wenn wir sie einfach nur anschauen ohne sie auseinanderzunehmen und zu analysieren. Ähnlich verhält es sich mit Gedichten, die in ihrer Ganzheit wahrgenommen einen ganz anderen Zauber entfalten als bei der kritischen Analyse ihrer Teile. Letzteres kann ich natürlich machen, die Faszination eines Bildes oder eines Gedichts geht dabei aber verloren. 
Und um Faszination geht es. Sich von der Wirklichkeit, so wie sie ist, faszinieren lassen, geht sehr viel weiter und tiefer als sich in der bloßen Realität nur zu orientieren. Auf einer gewissen, eben der oberflächlichen Ebene, müssen wir funktionieren. Das ist die Realität. Aber wenn wir leben wollen, können wir das nur in der Wirklichkeit. Wirklichkeit ist weit mehr als Realität. In ihr steckt die ganze Fülle des Lebens und damit auch das ganze Potenzial, alles das, was in diesem Augenblick wirkt und sich verwirklicht und auch alles das, was sich in diesem Augenblick verwirklichen könnte in einen Akt der Schöpfung.
Diese Art Schöpfung braucht keinen Schöpfer, sie braucht nur die Achtsamkeit des Augenblicks. Wo ich mich für die Tiefe eines Augenblicks öffne, wo ich mich im Nichts verwirkliche, „aufwachen“ nennen wir das im Zen, ist nur schöpfen. Da gibt es dann kein Ich mehr, da gibt es nur diesen einen Augenblick und in ihm die ganze Welt. 
Auf einem spirituellen Weg wie dem Zen, wenn er denn authentisch ist, geht es um nichts anderes als zu leben. Als der zu sein, der ich bin, als der zu sein, in dem sich die Wirklichkeit in einer einmaligen und vollkommenen Form ausdrückt. Dieser Ausdruck findet immer in der Gegenwart statt, in diesem Augenblick gerade jetzt. Wir sind immer in der Gegenwart, auch wenn wir in der Erinnerungen oder Projektionen schwelgen. Nur, wir spüren es in der Regel nicht, wenn wir es nicht konkret üben. 
Auch wenn wir glauben, zu leben, ist es doch eher so, dass wir unser Leben allerhöchstens im Griff haben. Häufig nicht einmal das, wenn wir uns leer, einsam und verzweifelt fühlen. Leben ist eben nicht das, was wir im Griff haben können. Begreifen können wir nur die Vorstellungen, die wir uns von dem Leben machen, eben die Begriffe mit denen wir Prozesse einzufangen versuchen. Leben ist aber etwas ganz anderes als das, was ich begreifen kann. Leben kann ich nur erleben, gerade jetzt.
Solange, wie ich nur begreife, entsteht die uns bekannte Welt, in der eine Vielzahl von Phänomenen scheinbar nebeneinander stehen und ich ihnen gegenüber. Das ist ein durchaus erfolgreiches Modell zu überleben, es hat uns die Zivilisation und die Technologie gebracht und stellt uns als Krone der Schöpfung scheinbar über alle und alles.
Mit unserem eigentlichen Leben hat das aber nichts zu tun. Es ist mehr eine Form von Ablenkung und wenn wir genau hinschauen, lenken wir uns den ganzen Tag davon ab, zu leben. Leben findet immer nur im Augenblick statt und um das zu erfahren, muss ich aufhören, diesen Augenblick zu fliehen. 

Wenn wir Zazen üben, tun wir genau das. Wir üben Präsenz, es geht nur um diesen einen Atemzug und zu diesem kehre ich immer wieder zurück, sobald ich merke, dass ich mich davon gemacht habe.
Zazen bedeutet, zu lauschen, zu schauen und zu spüren. Das ist durchaus ganz sinnlich gemeint, denn über unsere Sinne erleben wir die Wirklichkeit. Wir erleben vor allem auch den Unterschied zwischen „erleben“ und „begreifen“. Unser Leben geht weit über das „begreifen“ hinaus. Vieles von dem, was ich erlebe, kann ich nicht beschreiben und ich kann es dennoch mit anderen teilen, die auf dem gleichen Weg sind. 
Ich will diese Übung mit einem Bild verdeutlichen: Auf der Oberfläche des Meeres gibt es eine Vielzahl von Wellen. Sie entstehen und vergehen und jede von ihnen ist einmalig. Nun hat sich im Laufe der Evolution in jeder Welle die Fähigkeit entwickelt, ein Bewusstsein seiner selbst zu kreieren. Die Welle kann sich sozusagen von innen heraus anschauen und fragen: „Wer bin denn ich?“ Und irgendwann entwickelt sich als Antwort das Wort „Welle“. Mehr noch, wenn diese eine Welle nach außen schaut, dann sieht sie sich von einer Vielzahl anderer Wellen umgeben. Jede dieser Wellen steht für ein Phänomen der uns scheinbar umgebenden Welt. 
Übertragen wir dieses Bild wieder auf unsere Realität, ist ein jeder von uns eine solche Welle. Ein erkennendes Subjekt, das einer Vielzahl von Objekten gegenüber steht. Mit diesen Objekten sind wir bereits in Beziehung oder versuchen, in Beziehung zu kommen und bestimmen dabei Nähe oder Distanz. Wir versuchen zu kommunizieren oder zu kooperieren oder uns von ihnen abzugrenzen.
Wenn wir uns beispielsweise verlieben, geht es um die Kommunion, wenn wir uns abgrenzen, weil wir uns bedroht fühlen, entsteht aus dieser Verengung Angst und unsere Reaktion kann bis zur Zerstörung dieses fremden Objekts gehen. Jeder, der schon einmal verliebt war, weiß, dass sich dieses Gefühl nicht über eine Beschreibung einfangen lässt. Wer noch nicht verliebt war, muss es eben erst erfahren, um zu verstehen, worum es geht. 
Diese starke Kraft des Verliebtseins erinnert uns an etwas, das zutiefst in uns ist, von dem wir uns aber oft weit entfernt haben, das intuitive Wissen darüber, dass ich eins bin. Das, was ich also im Verliebtsein in einem anderen werden will, bin ich schon vom Ursprung an. Einssein und Leben und Liebe sind nichts als Synonyme.
Da mir das als Mensch in meiner Entwicklung aber häufig nicht bewusst ist, habe ich eine Vielzahl von Strategien entwickelt, um diese erahnte und ersehnte Einheit zu erfahren. Zu diesen Strategien zählen Macht und Gier, um die Welt und die Wirklichkeit meiner Kontrolle zu unterwerfen und sie zu beherrschen. All dies als Versuch, aus der Wirklichkeit zu flüchten und sie in ihrem Wirken aufzuhalten, um Einheit als Status zu erfahren. Aber, alles ist vergänglich, nichts lässt sich festhalten. Je mehr ich anhäufe, umso mehr zerrinnt es mir zwischen den Fingern. 
Alles ist Prozess ohne jede Substanz. Es gibt keine Materie, also kann ich sie mir auch nicht aneignen. Ich kann mich allerdings mit meinen Strategien bewusst gegen die lebendigen Prozesse stellen. Aufhalten kann ich sie damit nicht, ich kann aber sehr viel Leid über alles bringen, was lebt. Wir Menschen können auf diesem Planeten der uns bekannten Lebenswelt ein Ende setzen und einen (vorübergehend) lebensfeindlichen staubigen Klumpen im Universum zurücklassen. Wir können aber auch unser Leben leben und feiern und mit ihm das Leben überhaupt. 
Zurück zu unserem Bild mit den Wellen und zu unserem Weg. Wenn ich Zazen übe, also einfach nur sitze, lausche, schaue und spüre, erlebe ich das, was ist. Sind eine Vielzahl Geräusche um mich herum, lasse ich sie einfach kommen und gehen ohne sie zu benennen und festhalten zu wollen. Beim Schauen fokussiere ich nicht meinen Blick sondern lasse ihn weich werden und in der Weite des Raumes verweilen ohne etwas fixieren zu wollen. Das ist zu Beginn schwierig, gelingt aber bei fortschreitender Übung. Ich lausche und schaue einfach auf das, was ist. Nicht nur auf das, was scheinbar außen um mich herum ist sondern vor allen Dingen auf mein inneres Geschehen, das bestimmt wird von einer Vielzahl von Gedanken. Gedanken, die nichts anderes sind als Versuche, Wirklichkeit zu zergliedern, zu benennen und zu begreifen. 
Wenn ich mich dabei auch als den Körper spüre, der ich bin, von meinen Füßen bis hinauf zum Kopf und wenn ich mich in diesem Spüren immer wieder lasse, das heißt, aus der Anspannung herausfinde, dann werde ich feststellen, dass sich auch die Gedankenaktivität beruhigt. Auf diese Weise tauche ich in die Tiefe, ich verlasse die Welt mit meinen Identifikationen und Zuschreibungen. 
Im Rhythmus meines Atems lasse ich mich hinabsinken, ich schwebe und dabei lausche ich und schaue und stelle plötzlich fest, dass es unter der Oberfläche meines Daseins eine gewaltige Leere gibt wie das Wasser des Meeres unter einer aufgewühlten Oberfläche. Diese kann zunächst als still erfahren werden und aus dieser Stille tauchen immer wieder subtile Signale auf, die mit meinen Gedanken gar nichts zu tun haben, die mich aber sehr komplex und intuitiv erfahren lassen, worum es eigentlich geht. Besonders jeder, der kreativ tätig ist, kennt diese schöpferischen Signale, die einen immer wieder ausfüllen und zur Tat schreiten lassen. 
Angekommen in dieser Leere erfahre ich, dass sie die ganze Fülle ist, die ganze Fülle in einer unendlichen Stille, in der sich dennoch alles zeitlos manifestiert. Aber es ist ein Prozess und ich bin dieser eine schöpferische Prozess und das ist schon alles. 

Monster

Ein Anschlag folgt auf den anderen. Immer sterben Menschen dabei, die ihr Leben noch lange weiterleben, ihre Möglichkeiten verwirklichen wollten. Kein Tag vergeht, ohne das irgendwo auf der Welt Menschen von anderen Menschen angegriffen und grausam getötet werden. Wer gibt den Tätern das Recht, anderen ihr Leben zu nehmen? 
Solange wir das nur in den Nachrichten hörten, konnten wir uns recht gut davon abwenden, mittlerweile kommen die Einschläge aber immer näher und viele bei uns fühlen sich bedroht und verunsichert. Überall kann es einen treffen, Hysterie breitet sich aus, es scheint keinen sicheren Ort mehr zu geben und die meisten Medien tun alles dafür, sich in den Dienst der Täter zu stellen, denen es um maximale Aufmerksamkeit geht. Diese scheuen ihren eigenen Tod nicht und versuchen dabei so viele andere Menschen wie möglich mitzunehmen. Weder Kinder noch Alte werden verschont und auch ein Glaubensbekenntnis, egal in welcher Richtung ist keine Garantie auf das Überleben. Wenn der Hass einmal entzündet ist, scheint er sich erst im eigenen Verlöschen aufzulösen, gleich ob jemand in einer persönlichen Krise Amok läuft oder aus ideologischen Gründen Angst und Schrecken verbreiten will.  

Wie ist das möglich? Was sind das für Monster? Wie können diese Menschen nur so unmenschlich sein? Was heißt überhaupt „unmenschlich“? Sind es nicht gerade wir Menschen, die diese Taten vollbringen? Oder hat es im Laufe der Evolution jemals ein solch grausames und unbarmherziges Wesen gegeben wie uns? 

Andererseits hat jeder von uns eine bestimmte Vorstellung von Menschlichkeit. Wir wissen also tief drinnen in uns selbst, was wir zu tun zu haben, um unserer eigentlichen Bestimmung als Mensch zu folgen. Wir wissen intuitiv von richtig und falsch und wir kennen den Weg des Mitgefühls und der Barmherzigkeit. Warum dann nur folgen wir immer wieder unserer Gier, unserem Hass und unserer Sehnsucht nach Tod und Zerstörung? Oder würden „wir“ das nie tun? Sind es immer nur die anderen, Monster eben, böse, krank, ideologisch fixiert? 

Wenn wir davon ausgehen, dass wir die Lebensform sind, in der das Leben sich selbst zu erkennen sucht, so ist uns auch die Freiheit gegeben, sich gegen das Leben und damit gegen uns selbst zu wenden. Wir sind der evolutionäre Versuch, die Liebe zu erkennen, die uns geboren hat und in dieser Erfahrung aufzuwachen und ihr gemäß zu handeln. Da wir uns dieser Erkenntnis aber auch verweigern können oder sie nur rudimentär vollziehen und falsch interpretieren, sind wir aus der uns gründenden Ein-heit in den Zwei-fel gefallen und stellen uns der Wirklichkeit gegenüber statt in ihr zu wirken. Diesen Verlust der Einheit, unserer „Vertreibung aus dem Paradies“ versuchen wir mit der Vorstellung eines Ichs zu kompensieren, dass als substanzielles Subjekt mit einer getrennten und überwiegend fremden, wenn nicht gar feindlichen Umwelt konfrontiert wird, die um des eigenen Überlebenswillen beherrscht und unterworfen werden muss. 

Nun gibt es uns als Spezies Mensch schon ein Weilchen und wir haben uns im Laufe der Evolution zivilisiert und fallen in der Regel nicht mehr über jeden her, der vorüberläuft. Wir haben gelernt, zu kooperieren und nutzen das zur Bildung kleiner und größerer Gemeinschaften, um sich effektiver vor tatsächlichen oder eingebildeten Gefahren zu schützen. Der Überlebenskampf läuft nun subtiler und ist häufig einem Wettbewerb gewichen, in dem es nicht mehr um Leben oder Tod sondern nur noch um Macht und Einfluss geht, allerdings immer auf Kosten anderer. Wir konkurrieren um Besitz, Sex und Kontrolle. Dabei gibt es nur wenige Gewinner, die allerdings früher oder später erschreckt feststellen müssen, das Schönheit wie Macht wie Reichtum vorübergeht, vor allem aber das Leben und das das Sterben auch eines noch so mächtigen Egos vielleicht aufzuhalten aber nicht abzuwenden ist. Am Ende schufen all die Gier und all die Leidenschaften nur das, was letzteres im Wort schon impliziert, also doch Sisyphos?

Zurück zu den Monstern, die wir mit diesem Begriff aus unserer Menschlichkeit ausschließen wollen, weil sie sich doch so sehr aus ihr entfernt haben. Aber wie sehr unterscheiden wir uns tatsächlich von diesen Mördern, die sich in eigener Glorifizierung das Recht herausnehmen, über Leben und Tod zu entscheiden? 

Wie stark ist eigentlich diese zivilisatorische Schicht in uns uns und wie flüchtig ist sie, sieht man sich nur mal die Konflikte der vergangenen Jahrzehnte an, in denen hochzivilisierte Gesellschaften in kürzester Zeit zusammenbrachen und ihre Mitglieder auf grausamste Art und Weise übereinander herfielen und es gerade jetzt auch tun? Alles Monster? Und es ist nicht immer eine Ideologie oder eine Religion, in deren Namen das geschieht. Diese müssen nur immer wieder herhalten, um Menschen zu verdummen und zu entmündigen statt sie zu eigener Erfahrung und eigener Verantwortung zu führen.

Gier, Hass und Verblendung scheinen grenzenlos und sie sind in jedem von uns, solange wir uns von unseren Vorstellungen blenden lassen, ein getrenntes Individuum zu sein. Vor ein paar Jahren wurde einer meiner wichtigsten Lehrmeister, Frère Roger de Taizé ermordet, von einer Frau, die anschließend als geistesgestört bezeichnet wurde und dann strafrechtlich als nicht verantwortlich galt. Ein Monster? Niemand hat das Recht, einem anderen sein Leben zu nehmen, aber das gilt immer und überall und auch für diejenigen, die sich nicht daran halten. Zwei Jahre nach der Ermordung von Frère Roger, tötete ein Freund und Nachbar auf besonders grausame Weise seine Kinder und seine Frau. Er galt nicht als geistig gestört, war auch nicht ideologisch oder religiös motiviert und galt bis zu seiner Tat als unauffälliges Mitglied unserer Gesellschaft und hatte als Pädagoge und Therapeut gearbeitet. Ein Monster? 

Wir müssen sehr achtsam in uns selbst hineinschauen, um unsere Gefühle von Angst und Verzweiflung, von Kränkung und Verletzung zu klären, bevor sie sich als Monster nach außen richten. Wir müssen herausfinden, wer wir wirklich sind. Immer wieder, immer weiter, immer tiefer. Tun wir das nicht, laufen wir zumindest Gefahr, irgendwann die Kontrolle über unsere Aggressionen zu verlieren. Attentäter und Terroristen sind immer auch gekränkte und verletzte Seelen und nicht nur ideologisch verführte Menschen. Es ist ihnen nicht gelungen, sich von ihren Erfahrungen und daraus entstandenen Gefühlen zu lösen, mehr noch, sie instrumentalisieren sie oder lassen sich instrumentalisieren, um ihr eigenes Leid möglichst vielen anderen zuzufügen und sich zu rächen. Sie sitzen fest in dem engen Tunnel Ihrer Vorstellungen und pumpen soviel Energie darein, bis sie im wahrsten Sinne auseinanderliegen. 

Aus unserer Zen-Erfahrung wissen wir, ein jeder von uns ist das ganze Leben, dass sich jeden Augenblick in einer unendlichen Vielzahl von Formen und Ereignissen zeigt. Damit schließen wir aber auch jeden Mörder und jeden Terroristen ein, als Gedanke nicht nachvollziehbar. Es gibt im Grunde keinen Unterschied. Ein jeder ist aus der Liebe geboren und niemand fällt aus ihr heraus, mag er auch noch so sehr von seinem Hass bestimmt sein oder sich einfach zum selbstlosen Werkzeug verbohrter Ideologen zu machen, die einen aus klimatisierten Hotellobbys in den Tod schicken. 

Jeder ist für sich selbst verantwortlich und damit auch dafür, zu seinem wahren Wesen aufzuwachen und das zu tun, was zu tun ist. Das gelingt häufig nicht, auch wenn die Folgen in den allermeisten Fällen nicht so dramatisch sind, aber immer mit Leiden verbunden. Wenn wir nicht genau hinschauen, tragen wir das Monster in uns und stärken es, wenn wir uns von ihm abgrenzen und es zu verdrängen versuchen. Es in sich zu erfahren und sich dem eigenen Schatten zu stellen, löst es auf. Wir können dem Schmerz nicht entkommen, aber wir müssen ihn nicht festhalten. 

Das sind provozierende und verwirrende Aussagen, denen wir mit unserem normalen Verstand nicht folgen können. Im wahren Wesen gibt es kein Richtig oder Falsch, aber auch kein Leben und kein Sterben. Sterben kann immer nur diese eine Form, dieser eine Körper, der wir sind. Kein Grund, darauf Einfluss zu nehmen. Wir sind das Leben, dass sich zu verwirklichen sucht. Dem sollten wir mit ganzem Herzen folgen. 

Enttäuschung

Es gibt ein neues Buch in der unüberschaubaren spirituellen Bücherszene, das von Alexander Poraj geschrieben wurde, der gleichfalls Zen-Meister in der Nachfolge von Willigis Jäger ist und spiritueller Leiter des Zentrums für Achtsamkeit und Meditation Benediktushof Holzkirchen. 
Dieses Buch lohnt sich zu lesen. Vor allem für diejenigen, die an Zen interessiert sind oder die sich schon immer gefragt haben und immer noch fragen: „Was soll das alles? Warum bin ich hier?“
In einer klaren Sprache, fernab von jedem spirituellen Barock, gibt Alexander Poraj Einblick in seine Art zu denken. Mehr noch, er führt den Leser über sein Denken hinaus zu, in die Stille. 

Es fällt nicht immer leicht zu folgen, nicht weil der Autor in seiner brillanten Art komplexe Zusammenhänge so kompliziert formuliert sondern weil er so kurz und treffend das Wesentliche auf den Punkt bringt. 

Ist das wirklich so einfach, mag man sich etwas verblüfft fragen? Um dann wieder seinen eigenen Vorstellungen auf den Leim zu gehen. 

Genau darum geht es, Täuschungen aufzugeben, immer und immer wieder und aufzuhören, Vorstellungen von der Wirklichkeit mit der Wirklichkeit als solche zu verwechseln. Zen geschieht da, wo uns das gelingt, einfach in der Wirklichkeit gerade jetzt zu sein und nicht Schauspieler und Regisseur im eigenen Film. 

Auf jeden Fall ist das Buch ein wunderbares Konzept über unsere Art und Weise, Konzepte zu entwerfen und zu leben, also über unser Leben. 

Aus der Literatur über Zen ragt es hinaus. Mit Ausnahme einiger Zitate aus dem Herzsutra und dem Shinjinmai nimmt es keinen Bezug zur Tradition. Es ist ein Buch geschrieben aus dem Herzgeist. 

Dieses Buch ist Zen, so nackt und nüchtern und einfach, wie Zen ist. Schaut man wirklich, offenbart sich das Herz, durch alle Worte hindurch. 

Missverständnis

Das Missverständnis beruht auf dem Glauben, dass nach der sogenannten Erfahrung der „Erleuchtung“ sich irgendwie ein qualitativ grundsätzlich anderes Verhältnis zu sich selbst und der Wirklichkeit offenbart. Vor allem in der Weise, dass alles möglich ist oder eben nichts, weil ich letztlich alles bin oder nichts. 
Alles ist dann richtig und Falsches kann es nicht mehr geben. Wenn einer also identisch wird mit Buddha und den Patriarchen, kann der also keine Fehler mehr machen und ist befreit von allen Normen? Eine solche Vorstellung befriedigt unser Bedürfnis, unsere Ideale auf jemand anderen zu projizieren, den ich dann zu einer Lichtgestalt der Verehrung und Nachfolge mache. Davon gibt es viele Beispiele. 

In der Erfahrung der Erleuchtung geht es aber darum zu erfahren, dass ich bereits Buddha bin von Anbeginn an. Da geht es nicht um werden, vor allen Dingen geht es nicht um irgend eine Art von Vervollkommnung, weil ich war und bin schon immer vollkommen. 

Wenn ich das also erfahre, dass ich schon immer vollkommen bin, dann bezieht sich diese Erfahrung eben nicht auf die Vorstellung von mir selbst sondern diese Erfahrung geht über jede Vorstellung hinaus und bezieht alles Denkbare und Undenkbare mit ein, das ganze Universum und mit ihm die gesamte Vielfalt unserer phänomenalen Welt. 

Und gerade aus dieser Erfahrung entsteht dann eine kraftvolle Ethik des Handelns, die versucht, Leiden egal in welcher Form zu vermindern und kein weiteres zu schaffen, allerdings im Bewusstsein dessen, das eine absolute Freiheit vom Leiden erst dann möglich ist, wenn alle Menschen erkannt haben, warum es in ihrem Leben eigentlich geht. Mit Leiden ist hier nicht der Schmerz und die Trauer gemeint sondern ein Leiden an meinem Leben, weil es nicht meinen Vorstellungen entspricht. 

In dem Moment, wo ich an der Illusion meines Ich hafte, geschieht Leiden. Wenn ich diese Illusion überwinde, überwinde ich auch Leben und Tod und dann bin ich einfach hier in diesem zeitlosen Augenblick. Das hindert mich dann nicht, in meinem Alltag Fehler zu machen, also in einer Weise zu handeln, die nicht allen möglichen Interessen anderer entspricht. Das ist schlicht und einfach unmöglich. 

Aber ich kann das tun, was mir jetzt möglich ist im Bewusstsein dessen, wer ich bin und innerhalb eines Prozesses, in dem alle Formen des Lebens sich immer wieder zu immer weiterer Komplexität entfalten und wieder vergehen. Innerhalb dieses Prozesses gibt es auch ethische Normen, die wie alles andere einer kontinuierlichen Entwicklung und Veränderung unterworfen sind aber an die zu halten, sinnvoll und richtig ist. 

Konkreter, man könnte auch sagen, dass Erleuchtung und Erwachen nichts anderes ist als die absolute Erfahrung der Liebe als Ursprung und Augenblick unseres Daseins. Der Liebe, die uns kreiert und jede andere Form auch, geht es um einen respektvollen, fürsorglichen und verantwortungsvollen Umgang miteinander. 

Da es keine Trennung gibt zwischen mir und dem anderen, fallen die Auswirkungen jede meiner Handlungen auf mich selbst zurück und auf den Ursprung. Wie könnte ich jemals im Bewusstsein dessen gegen die Liebe handeln? Wir haben als menschliche Spezies, als diese sich relativ neu entwickelte Lebensform eines zeitlosen Universums, die Freiheit, gegen dieses Prinzip der Liebe zu handeln mit Hass, Gewalt und Mord. Unser Handeln ist unser Karma. 

Wir bleiben sogar, auch wenn wir gegen sie handeln, eingebunden in diese universale Liebe und fallen nicht aus ihr heraus in eine wie auch immer geartete Hölle. Aber dort leben wir bereits in einer besonders extremen Form des Leidens, solange wir die uns gegebene Freiheit nutzen, nicht sehen zu wollen, was ist. Auch das Anhaften an unserem Ich, die Identifikation mit bestimmten Vorstellungen ist letztendlich nichts anderes als eine Manifestation der Liebe, als ein Ausdruck Buddhas. Diese paradoxe Tatsache zu durchschauen und sich in diesem Augenblick davon zu lösen, ist Erleuchtung. 

Ich selbst muss immer wieder achtsam schauen, was mir zu tun möglich ist. Achtsam mit mir selber umgehen, so wie ich es verstehe, ist kein mit mir selber umgehen im Sinne eines eingeschränkten Verständnisses von mir selbst als isoliertes Wesen. Wenn ich achtsam bin und das ist eine Haltung, die ich üben muss, dann weiß ich zumindest etwas mehr davon, was ich zu tun habe. Und das, was ich zu tun habe, versucht immer eine Vielzahl von Lebensinteressen einzubeziehen. Es kann aber niemals ideal sein und frei von Widersprüchen, es bleibt immer auch begrenzt und fällt in seiner Wirkung früher oder später auf mich zurück. Manchmal sag ich ja, manchmal nein, manchmal bin ich gerecht, dann wieder ungerecht, manchmal bewege ich mich, manchmal bleibe ich sitzen. Vieles passt und doch gibt es auch Fehler. Ich muss für mich, so wie ich als Mensch bin, als dieser individuelle und einmalige Ausdruck des unendlichen Lebens, meine Möglichkeiten und Grenzen, körperlich, geistig und seelisch immer wieder neu kennenlernen und ausloten. Ich brauche einen Rhythmus, Zeiten der Ruhe und Zeiten der Bewegung, Zeiten der Stille und Zeiten der Trommeln, Zeiten des Singens und Tanzens, des Kämpfen und der Ruhe, aber dabei muss ich bei mir bleiben, im Fluss bleiben, achtsam sein. Das ganze ist doch ein Spiel, das Spiel des Lebens und dazu gehört auch der Schmerz und der Tod. Das ist nicht zynisch gemeint. Ich habe zu tun, was mir möglich ist, aber ich kann, so schwer das fallen mag, nicht alle Lebewesen retten und muss immer wieder ohnmächtig zuschauen, wie sie bereits lange vor ihrer Vollendung sterben. Ich gelobe, sie vom Leid zu befreien. Darum geht es. 

Und dann?

Erwachen bedeutet absolute Nichtidentifikation. Ich hänge an nichts mehr fest, ich bin absolut frei und fließend. Keine Konzepte!

Aber meine Tendenz zur Identifikation holt mich schnell und vor allen Dingen subtil wieder ein. Ich brauche nur zu denken, ich bin erwacht und schon bin ich identifiziert, hänge ich ein weiteres Mal fest. Und meine Nase trage ich wieder ein Stück höher. 

Was bedeutet es, zu erwachen? Es bedeutet nichts, nichts, nichts. Das einzige, wozu Erwachen gut sein kann, ist die Umsetzung unseres Bodhisattva-Gelübdes in ein alltägliches Handeln zum Wohle aller! Die gelingt aber nur, wenn ich an nichts festhalte und einfach das tue, was zu tun ist.

Was ist das Bodhisattva-Gelübde? Die vier großen Gelübde sind ein häufig rezitierter Text im Buddhismus und im Zen, vor allem während Sesshins. Sie geben Hinweise und eine Ausrichtung. 
Zahllos sind die Lebewesen, ich gelobe, sie vom Leid zu befreien.

Grenzenlos sind die Verhaftungen, ich gelobe, sie alle zu lassen.

Unzählbar sind die Tore der Wahrheit, ich gelobe, sie zu durchschreiten.

Unübertroffen ist der Weg des Erwachens, ich gelobe, ihn zu gehen.
Was soll denn ein Gelübde, und dann noch so eins? Ein Gelübde ist ein Versprechen, sich an ein bestimmtes Verhalten oder an bestimmte Regeln zu halten. Dabei hören wir doch im Zen immer, lebe aus deiner spirituellen Erfahrung, tue, was zu tun ist!  

Alles richtig, das Wesentliche ist die eigene spirituelle Erfahrung, eins zu sein mit allem und das Leben als solches in seiner ganzen Fülle. Daraus ergibt sich eben sehr viel Verantwortung und ein natürliches ethisches Verhalten, ohne dass ein strenges System von Verboten und Geboten befolgt werden muss. Auf der anderen Seite schätzen wir aber auch unsere Tradition, ihre Texte und Überlieferungen. Wir müssen allerdings lernen, unsere Tradition zu verstehen und zu übertragen in unser Leben jetzt. Hinter jedem einzelnen von uns stehen unzählige Generationen. Was unser spirituelles Erbe angeht, so verdanken wir ihm viele Hinweise für unsere Praxis und unseren Weg. Wenn wir diese Hinweise aber nicht für unseren Alltag jetzt deuten können, nützen Sie uns nichts.

Nach der Überlieferung ist ein „Bodhisattva“ ein Erwachter, der nach seiner Erfahrung alles dafür tut, dass auch andere an dieser Erfahrung teilhaben. Für uns heute bedeutet das, wir begegnen dem Leben in all seinen Erscheinungen und Formen mit Liebe und Mitgefühl. Nichts anderes bedeutet der erste Satz des Gelübdes: „Ich gelobe, sie vom Leid zu befreien“. Das bedeutet nicht, in blinden Aktionismus zu verfallen oder gar andere Menschen zu missionieren und sie von einem wahren Weg überzeugen zu wollen. „Vom Leid befreien“ bedeutet auch nicht, dass ich mir selbst und anderen Lebewesen alle körperlichen und seelischen Schmerzen nehme. Das könnte ich niemals. Es bedeutet vor allem, sich selbst von allen Illusionen frei zu machen und zur wahren Erkenntnis durchzubrechen. Es gibt niemanden, der leiden könnte und doch gibt es den Schmerz. Indem ich einfach das Leben verkörpere, das ich bin, in dem ich einfach das tue, was zu tun ist, ist alles vollendet. Und natürlich bedeutet das auch, dass ich mich allen konkreten Herausforderungen meines Alltags stelle und für das Leben in jeder Form eintrete. Ich kann mich jeden Tag für soziale und ökologische Gerechtigkeit und für die Freiheit jedes einzelnen einsetzen. 

Im zweiten Satz sind die „Verhaftungen“ angesprochen, von denen ich mich immer wieder zu lösen habe. Verhaftungen sind nichts anderes als alle meine Illusionen, die ich mir mache, alle meine Konzepte von der Wirklichkeit und alle Identifikationen, auf dich immer und immer wieder hereinfalle. Immer wieder neu kann ich sie lassen. 

Im dritten Satz gelobe ich, die „unzählbaren Tore der Wahrheit zu durchschreiten“. Jeder Augenblick, jede Situation, jedes Phänomen, jedes Ding, jeder Mensch, jedes Tier, jede Pflanze, diese Blume dort oder der Schmetterling oder dieser Mensch, der mir gerade begegnet, ist ein Tor der Wahrheit. Wenn ich nur eins von den vielen wirklich durchschaut habe, habe ich alle durchschaut. Wenn ich nur ein Tor ganz durchschritten habe, habe ich alle durchschritten. In jedem Augenblick kann ich aufwachen zu dem, was ich schon immer wesenhaft bin.

In der vierten Zeile gelobe ich schließlich, den „unübertroffenen Weg des Erwachens“ zu gehen. Das ist der Weg, den uns Buddha Siddhartha Gautama, alle Patriarchen und Zen-Meister und alle Erwachten vor uns gewiesen haben. 

Das ist der Weg unserer Übung, 

unser stilles Sitzen,

unser Za-Zen. 

Erwachen!

Dazu lässt sich so viel sagen und absolut nichts. Erwachen ist das Erfahren der unmittelbaren Wirklichkeit, es geht um das, was ist und wie es ist. Dies zu erklären, ist schlichtweg unmöglich. Dennoch lässt sich mit Worten ein wenig (!) umschreiben. Diese Worte sind aber niemals vollständig und können auch nicht adäquat ausdrücken, worum es geht.
Worte sind dazu da, Phänomenen eine mehr oder weniger klare Bedeutung zu geben, damit ich und andere, mit denen ich mich austausche, Inhalte erkennen können. Das geht aber nur, indem ich abgrenze, eingrenze, voneinander unterscheide. 

Das eine Ganze, das unteilbare Eine, das Eine ohne ein Zweites, die Nicht-Zweiheit oder wie auch immer, lässt sich auf diese Weise nicht beschreiben, jedenfalls nicht umfassend, weil jede Beschreibung eben eine Eingrenzung ist. Bei dem Erfahren, um das es geht, geht es aber um ein Erfahren ohne jede Grenze und ohne jeden Inhalt und ohne jede Bedeutung. Und dieses Sosein versuchen wir beispielsweise zu umschreiben mit dem Begriff „Leere“ oder Begriff „Nichts“. Es ist ein Erfahren, das leer ist von allem. Darin gibt es kein Ding. 

Gleichzeitig umschließt dieses Erfahren aber alles, was überhaupt erfahrbar sein könnte. Also auch jedes Blabla. In diesem Erfahren fällt alles auf einen Punkt zusammen und gleichzeitig umfasst dieses Erfahren eine unendliche Weite. Aber auch das wieder falsch gesagt, weil es überhaupt keine Zeit gibt, innerhalb dessen irgendetwas geschieht. Dieses Erfahren ist absolut zeitlos. Ohne Anfang und ohne Ende. Wenn ich also von einem Prozess spreche, dann ist es ein Prozess ohne Anfang und ohne Ende. Mit Prozess gemeint ist in Bewegung sein, dennoch ist dieses Erfahren absolut still. In der Leere und in der Stille ist nichts in Bewegung. Also könnte ich auch von einem Zustand sprechen. Da ich dieses Erfahren aber immer wieder aktualisieren kann und muss, spreche ich lieber von einem Prozess. Damit vermeide ich einen großen Fehler, nämlich zu glauben, mit einer Erfahrung sei alles getan. Sicher, einmal aufgewacht ist immer aufgewacht, einmal erleuchtet es immer erleuchtet. Aber es gilt auch, wir sind von Anbeginn erleuchtet, wir sind von Anbeginn aufgewacht, von einem Anbeginn, dass es als solches gar nicht gibt, kein Anfang, kein Ende. 

Erleuchtung ist unser natürlicher Zustand. Erleuchtung ist sowohl Zustand wie Prozess. Wir ziehen ihn aber immer wieder in Zwei-fel, das heißt, wir brauchen diesen Dachziegel, der uns trifft, damit wir in einer Weise sehen, die unserer Natur entspricht, die unserem Ursprung entspricht. 

Sprachlich lässt sich das alles immer nur dualistisch ausdrücken, im Grunde genommen kann es nur um Stille, um Mu, um diesen Augenblick gehen. 

Darüber und über uns selbst nachzudenken ist eine wunderbare Fähigkeit unserer Evolution. Wir schaffen uns damit den Spiegel, in dem wir uns betrachten können. Wir belassen es aber nicht bei dem Spiegel. Wir beginnen, den Spiegel zu bemalen, in dem wir unsere eigene Welt darin kreieren. Das ist die Welt unsere Vorstellungen. Irgendwann ist der Spiegel dann so bemalt, dass er nur noch wenig von dem wiedergibt, was die Welt ist. Er ist sozusagen zu einem Zerrspiegel geworden oder er ist einfach dunkel und vollgekleckert. Jedenfalls gibt er nur noch wenig von dem wieder, was ist. Insoweit stimmt die Legende von dem Mönch Shenxiu, der in seinem Vers über sein Erfahren und seine Übung vom stetigen Polieren des Spiegels schrieb, damit sich kein Staub festsetze. Wer aufwacht, erfährt aber, dass es im Grunde diesen Spiegel gar nicht gib und insoweit hat der 6. Patriarch Huineng mit seinem Vers recht. Wo könnte sich dann irgendein Staubkorn niederlassen? Auch der stumpfe Spiegel, also auch meine eingeschränkte Sicht ist es! Nur, wenn mir das aufgeht, ist die Einschränkung und der ganze Spiegel weg. 

Und er erstrahlt in seinem eigentlichen Glanz. Das ist Erwachen. Ich kann also nichts machen, weil es nichts zu machen gibt, weil alles ja schon immer da ist und ich schon erleuchtet bin. 

Und wenn ich das aber nicht weiß? Ich weiß es nicht, ich spüre es nicht, also gibt es doch ein vorher und ein nachher. Sprachlich-konzeptionell sieht es in der Tat so aus, als gäbe es da eine Erfahrung, die ich machen könnte. Aber so ist es nicht. 

Ich bin schon immer in der unmittelbaren Erfahrung, nur kann ich sie nicht ausdrücken, jedenfalls nicht mit Mitteln der Sprache. Solange Sprache dazu genutzt wird, Vorstellungen zu kreieren. Solange ich Sprache nur als Laut verstehe, als dieses Blabla, was gerade ist, komme ich dem Verständnis, um das es geht, schon näher. Ich kann nichts machen, ich kann mich nur dem überlassen, was ist und verantwortlich das tun, was zu tun ist. 

Bodhidharmas „weit und leer“ ist sowohl Zustand wie Prozess. Wer diesen Zustand erfährt, spricht nicht mehr von Erwachen und Erleuchtung insoweit, dass er sie auf sich selbst bezieht, um sich von anderen zu unterscheiden. 

Verstehen kann ich das nur, wenn mein Verständnis über mein rationales Verständnis hinaus wächst. Eben dazu dient unsere Koan-Schulung. Das, was wir als die große Leerheit erfahren, das Nichts, also die Freiheit von jedem Phänomen, ist absolut identisch mit der phänomenalen Welt, die wir gerade jetzt mit unseren Sinnen wahrnehmen und über unser Denken reflektieren. Diese Welt und dieses Universum ist in ständiger Veränderung begriffen und alles hängt mit allem zusammen. Es findet sogar eine Entwicklung statt, scheinbar vom einfachen zum komplexen. Inwieweit diese Entwicklung absolut oder alternierend ist, wissen wir nicht. Diese Entwicklung ist aber offen, es gibt weder Anfang noch Ende.  

Ich persönlich werde geboren und ich werde sterben und gleichzeitig gilt aber auch, dass ich weder geboren bin noch sterben werde. Mein Handeln hat immer Auswirkungen auf das Ganze. Jedes Erfahren und jedes Erkennen kann immer nur im Kontext von dem stattfinden, was gerade ist. Aufwachen kann ich immer nur zu dem, was gerade ist. 

Dieses Ist ist Sein und Werden zugleich. Insoweit spreche ich davon, dass mein Aufwachen sich auch stetig aktualisieren kann und muss. Sonst ist es nicht umfassend. Erleuchtung ist nicht unser endgültiger Zustand sondern ein Zustand in Veränderung. Bewegung und Stille sind eins so wie Form und Leere eins sind. 

Letzten Endes wird es darum gehen, diese Identität von Wesenswelt und phänomenaler Welt in jedem Augenblick zu erfahren und dementsprechend zu handeln. Ich bin von Anfang an vollkommen. Das gilt aber für jeden, egal wer er ist und wo er herkommt.