Was ist Zen?
Wenn es das ist, was gerade ist und so wie es ist, dann ist es eben das ganze Leben gerade jetzt.
Dazu gehört dann nicht nur das, was unseren Wünschen, Träumen und Idealen entspricht darüber, wie die Wirklichkeit zu sein hat, sondern alle Erscheinungsformen unseres Lebens. Also das ganze Leben in seiner unendlichen Vielfalt, wie es gerade geschieht mit allen Schönheiten und Grausamkeiten.
Dazu gehört also auch all das, was Menschen anderen Menschen antun und anderen Lebewesen und dem Leben überhaupt auf dieser wunderbaren Erde.
Da Leben aber nichts Beständiges ist sondern in ständiger Entwicklung und Veränderung, stehen wir Menschen als diejenigen Wesen, die zur Reflektion fähig sind in der Verantwortung, uns zu entwickeln und zu verändern, um die Welt jeden Tag ein Stückchen besser zu machen.
Besser machen heißt hier nicht, die Wirklichkeit nach unseren individuellen Vorstellungen von Bessersein zu verändern sondern jeweils ganz genau hinzuschauen, was konkret zu tun ist, um das Leben insgesamt zu bewahren und zu fördern.
Dazu gehört zweifellos der Respekt und die Achtung vor und das Mitgefühl zu jedem einzelnen Lebewesen.
Jeden Tag sind wir vielfach Zeuge davon, dass dieser Respekt und dieses Mitgefühl fehlt. Besonders schmerzhaft ist es dann, wenn Täter unser besonderes Vertrauen hatten, weil sie uns persönlich nahe stehen oder Institutionen angehören, denen wir vertrauen und die für sich den Anspruch verbreiten, in Nächstenliebe und mit Mitgefühl zu handeln.
Seit Jahren stehen Verantwortungsträger der katholischen Kirche immer wieder im Fokus, ihnen anvertraute Kinder sexuell missbraucht zu haben.
In Augsburg wurde gerade ein Zen-Priester wegen Missbrauchs von anvertrauten Kindern zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt.
Darüberhinaus stehen immer wieder buddhistische Lehrer, auch Zen-Lehrer in der Kritik, intime Beziehungen mit erwachsenen Schülern und Schülerinnen einzugehen, unter anderen der sehr bekannte tibetische Lehrer Sogyal Rinpoche.
Es gibt den Missbrauch von Menschen durch Menschen, nicht nur im sexuellen, aber eben gerade in diesem für jeden Menschen besonders intimen und schutzbedürftigen Bereich.
Diesen Missbrauch darf es nicht geben und es gibt ihn doch. Ständig und vielerorts geschieht es und es gibt keine Rechtfertigung dafür außer vielleicht die, dass wir als Menschen eben so sind, wie wir sind.
Nicht nur achtsam, mitfühlend und liebevoll sondern schwach, unzulänglich, voller Fehler und den eigenen Leidenschaften unterworfen. Aber mit dem Potenzial, uns zu verändern und anderen Menschen und dem Leben als solches weniger Leid zuzufügen.
Dass nun gerade Menschen, die für sich einen hohen Anspruch formulieren und sich mit christlicher Nächstenliebe, buddhistischem Ethos oder einer Lebenshaltung aus der Zen-Erfahrung identifizieren, was immer sie sich darunter vorstellen, die also von Achtsamkeit und Mitgefühl predigen, auch missbrauchen und damit ihren Opfern unermessliches Leid zufügen, ist kaum auszuhalten.
Aber es kommt dennoch immer wieder vor. Es ist immer wieder eine große Enttäuschung für uns. Gerade von solchen Menschen erwarten wir es nicht, weil wir sie als Vorbilder sehen in der Bewältigung unserer eigenen Leidenschaften.
Es ist wichtig, vor diesen Taten die Augen nicht zu verschließen, sondern sich damit offen auseinanderzusetzen.
Insoweit ist auch die Veröffentlichung solcher Informationen wichtig. Das die Medien dabei wenig differenziert berichten und zu Verallgemeinerungen greifen, ist so.
Was den Fall in Augsburg angeht, da ist von einem Zen-Priester, einem Zen-Mönch, gar einem Zen-Meister die Rede, von einem Menschen, der sehr engagiert war in einer bestimmten Gruppierung, die sich als buddhistisch versteht und soweit ich weiß offensichtlich auch eine gewisse Legitimation von einer japanischen Rinzai-Zen Linie hat.
Buddhismus und Zen sind Begriffe, unter denen sich eine Vielzahl unterschiedlicher Strömungen versammeln, die sich zwar alle auf Buddha Shakyamuni berufen, aber völlig unterschiedliche Interpretation seiner Erfahrung und seines Weges vertreten.
Zen und Buddhismus sind nicht das gleiche, Zen geht über das, was der Buddhismus lehrt und lebt, weit hinaus, nicht, weil Zen ein erweitertes Konzept von was auch immer ist sondern weil Zen das Leben als solches und als ganzes gerade jetzt verkörpert.
Die Details aus Augsburg sind mir nicht bekannt, aber ich bezweifle sehr, dass der geständige Täter Dorin G. tatsächlich ein authentischer Zen-Meister ist.
Dafür gibt es einfach zu viele selbsternannte Meister. Aber auch das ist nicht der Punkt. In der Vergangenheit haben auch Menschen, die tatsächlich über eine traditionelle Übertragung als Zen-Meister verfügten, missbraucht, wenn auch nicht unbedingt im juristischen Sinne. Denn ich halte auch intime Beziehungen zu erwachsenen Schülern und Schülerinnen für eine Form des Missbrauchs.
Es wird immer wieder diskutiert, inwieweit intime, also sexuelle Beziehungen zwischen Meistern, Lehrern und Schülern beziehungsweise Schülerinnen legitim sind. Es gibt sogenannte buddhistische Wege in Europa, deren Gründer und Gurus sich rühmen, mit Hunderten ihrer Schülerinnen bereits geschlafen zu haben.
Abgesehen davon, dass ich immer wieder darüber überrascht bin, wieviele Anhänger dieser Schulen dieses Spiel mitspielen, ich halte derartige intime Beziehungen in keinem Fall für legitim.
Selbst wenn, wie in unserer Linie „Leere Wolke“, der Zen-Linie von Willigis Jäger, Meister und Lehrer ihren Schülern auf Augenhöhe begegnen wollen, sind wir doch einer Vielzahl von Projektionen ausgeliefert und es bleibt häufig ein gewisses Macht- und Einflussgefälle zwischen Lehrern und Schülern.
Niemand hat das Recht, das auszunutzen. Es liegt in der Verantwortung des Lehrers, damit überaus sorgfältig umzugehen und Schüler nicht auszunutzen, egal in welcher Beziehung.
Wenn sich Schüler oder Schülerinnen in ihren Lehrer oder Meister verlieben oder umgekehrt, dann ist das natürlich möglich aber jede Form von Schülerschaft muss zunächst beendet werden, bevor aus dieser Verliebtheit eine intime Beziehung entsteht.
Auch wenn die Liebe der grundlose Grund ist, aus der alles entsteht und die nichts ausschließt. Zu ihr gehört dann eben auch die Fähigkeit zur Verantwortung. Ich habe eine Wahl zu treffen, ich kann mich entscheiden. Nicht alles, was möglich ist, vor allem nicht alles, was ich wünsche und begehre, muss ich auch verwirklichen. Auch wenn es dieses Ich als Subjekt im Grunde genommen gar nicht gibt.
Es gibt aber die Tat und jede Tat hat Folgen.