Der Ochs und sein Hirte

cow01I. Die Suche nach dem Ochsen

Verlassen in endloser Wildnis schreitet der Hirte dahin durch wucherndes Gras und sucht seinen Ochsen.
Weit fließt der Fluß, fern ragen die Gebirge, und immer tiefer ins Verwachsene läuft der Pfad.
Der Leib zu Tode erschöpft und verzweifelt das Herz.
Doch findet der suchende Hirte keine geleitende Richtung. Im Dämmer des Abends hört er nur Zikaden auf dem Ahorn singen.cow02
II. Das Finden der Ochsenspur
Unter den Bäumen am Wassergestade sind hier und dort die Spuren des Ochsen dicht hinterlassen.
Hat der Hirte den Weg gefunden inmitten des dichtwuchernden, duftenden Grases?
Wie weit auch der Ochse laufen mag bis in den hintersten Ort des tiefen Gebirges:
Reicht doch seine Nase in den weiten Himmel, daß er sich nicht verbergen kann.
cow03III. Das Finden des Ochsen
Auf einmal erklingt des Buschsängers helle Stimme oben im Wipfel.
Die Sonne strahlt warm, mild weht der Wind, am Ufer grünen die Weiden.
Es ist kein Ort mehr, dahin sich der Ochse entziehen könnte.
So schön das herrliche Haupt mit den ragenden Hörnern, daß es kein Maler erreichte.cow04 IV. Das Fangen des Ochsen

Nach höchsten Mühen hat der Hirte den Ochsen gefangen.
Zu heftig noch dessen Sinn, die Kraft noch zu wütend, um leicht seine Wildheit zu bannen.
Bald zieht der Ochse dahin, steigt fern auf die hohen Ebenen.
Bald läuft er weit in tiefe Stätten der Nebel und Wolken und will sich verbergen.cow05 V. Das Zähmen des Ochsen
Von Peitsche und Zügel darf der Hirte seine Hand keinen Augenblick lassen.
Sonst stieße der Ochse mit rasenden Schritten vor in den Staub.
Ist aber der Ochse geduldig gezähmt und zur Sanftmut gebracht, folgt er von selbst
ohne Fessel und Kette dem Hirten.cow06 VI. Die Heimkehr auf dem Rücken des Ochsen
Der Hirte kehrt heim auf dem Rücken des Ochsen, gelassen und müßig.
In den fernhinziehenden Abendnebel klingt weit der Gesang seiner Flöte.
Takt auf Takt und Vers auf Vers tönt die grenzenlose Stimmung des Hirten.
Hört einer auf den Gesang, braucht er nicht noch zu sagen, wie es dem Hirten zumute.cow07 VII. Der Ochs ist vergessen, der Hirte bleibt
Schon ist der Hirte heimgekehrt auf dem Rücken des Ochsen.
Es gibt keinen Ochsen mehr. Allein sitzt der Hirte, müßig und still.
Ruhig schlummert er noch, da doch die rot brennende Sonne schon hoch am Himmel steht.
Nutzlose Peitsche und Zügel, weggeworfen unter das stroherne Dach.cow08 VIII. Die vollkommene Vergessenheit von Ochs und Hirte
Peitsche und Zügel, Ochse und Hirt sind spurlos zu Nichts geworden.
In den weiten und blauen Himmel reicht niemals ein Wort, ihn zu ermessen.
Wie könnte der Schnee auf der rötlichen Flamme des brennenden Herdes verweilen?
Erst wenn ein Mensch in diesen Ort gelangt ist, kann er den alten Meistern entsprechen.cow09 IX. Zurückgekehrt in den Grund und Ursprung
In den Grund und Ursprung zurückgekehrt hat der Hirte schon alles vollbracht.
Nichts ist besser, als jäh auf der Stelle wie blind zu sein und taub.
In seiner Hütte sitzt er und sieht keine Dinge da draußen. Grenzenlos fließt der Fluß wie er fließt.
Rot blüht die Blume wie sie blüht.cow10
X. Das Hereinkommen auf dem Markt mit offenen Händen
Mit entblößter Brust und nackten Füßen kommt er herein auf den Markt.
Das Gesicht mit Erde beschmiert, der Kopf mit Asche über und über bestreut.
Seine Wangen überströmt von mächtigem Lachen.
Ohne Geheimnis und Wunder zu mühen, läßt er jäh die dürren Bäume erblühen.

"Leere Wolke" Zen Linie Willigis Jäger