Dazu lässt sich so viel sagen und absolut nichts. Erwachen ist das Erfahren der unmittelbaren Wirklichkeit, es geht um das, was ist und wie es ist. Dies zu erklären, ist schlichtweg unmöglich. Dennoch lässt sich mit Worten ein wenig (!) umschreiben. Diese Worte sind aber niemals vollständig und können auch nicht adäquat ausdrücken, worum es geht.
Worte sind dazu da, Phänomenen eine mehr oder weniger klare Bedeutung zu geben, damit ich und andere, mit denen ich mich austausche, Inhalte erkennen können. Das geht aber nur, indem ich abgrenze, eingrenze, voneinander unterscheide.
Das eine Ganze, das unteilbare Eine, das Eine ohne ein Zweites, die Nicht-Zweiheit oder wie auch immer, lässt sich auf diese Weise nicht beschreiben, jedenfalls nicht umfassend, weil jede Beschreibung eben eine Eingrenzung ist. Bei dem Erfahren, um das es geht, geht es aber um ein Erfahren ohne jede Grenze und ohne jeden Inhalt und ohne jede Bedeutung. Und dieses Sosein versuchen wir beispielsweise zu umschreiben mit dem Begriff „Leere“ oder Begriff „Nichts“. Es ist ein Erfahren, das leer ist von allem. Darin gibt es kein Ding.
Gleichzeitig umschließt dieses Erfahren aber alles, was überhaupt erfahrbar sein könnte. Also auch jedes Blabla. In diesem Erfahren fällt alles auf einen Punkt zusammen und gleichzeitig umfasst dieses Erfahren eine unendliche Weite. Aber auch das wieder falsch gesagt, weil es überhaupt keine Zeit gibt, innerhalb dessen irgendetwas geschieht. Dieses Erfahren ist absolut zeitlos. Ohne Anfang und ohne Ende. Wenn ich also von einem Prozess spreche, dann ist es ein Prozess ohne Anfang und ohne Ende. Mit Prozess gemeint ist in Bewegung sein, dennoch ist dieses Erfahren absolut still. In der Leere und in der Stille ist nichts in Bewegung. Also könnte ich auch von einem Zustand sprechen. Da ich dieses Erfahren aber immer wieder aktualisieren kann und muss, spreche ich lieber von einem Prozess. Damit vermeide ich einen großen Fehler, nämlich zu glauben, mit einer Erfahrung sei alles getan. Sicher, einmal aufgewacht ist immer aufgewacht, einmal erleuchtet es immer erleuchtet. Aber es gilt auch, wir sind von Anbeginn erleuchtet, wir sind von Anbeginn aufgewacht, von einem Anbeginn, dass es als solches gar nicht gibt, kein Anfang, kein Ende.
Erleuchtung ist unser natürlicher Zustand. Erleuchtung ist sowohl Zustand wie Prozess. Wir ziehen ihn aber immer wieder in Zwei-fel, das heißt, wir brauchen diesen Dachziegel, der uns trifft, damit wir in einer Weise sehen, die unserer Natur entspricht, die unserem Ursprung entspricht.
Sprachlich lässt sich das alles immer nur dualistisch ausdrücken, im Grunde genommen kann es nur um Stille, um Mu, um diesen Augenblick gehen.
Darüber und über uns selbst nachzudenken ist eine wunderbare Fähigkeit unserer Evolution. Wir schaffen uns damit den Spiegel, in dem wir uns betrachten können. Wir belassen es aber nicht bei dem Spiegel. Wir beginnen, den Spiegel zu bemalen, in dem wir unsere eigene Welt darin kreieren. Das ist die Welt unsere Vorstellungen. Irgendwann ist der Spiegel dann so bemalt, dass er nur noch wenig von dem wiedergibt, was die Welt ist. Er ist sozusagen zu einem Zerrspiegel geworden oder er ist einfach dunkel und vollgekleckert. Jedenfalls gibt er nur noch wenig von dem wieder, was ist. Insoweit stimmt die Legende von dem Mönch Shenxiu, der in seinem Vers über sein Erfahren und seine Übung vom stetigen Polieren des Spiegels schrieb, damit sich kein Staub festsetze. Wer aufwacht, erfährt aber, dass es im Grunde diesen Spiegel gar nicht gib und insoweit hat der 6. Patriarch Huineng mit seinem Vers recht. Wo könnte sich dann irgendein Staubkorn niederlassen? Auch der stumpfe Spiegel, also auch meine eingeschränkte Sicht ist es! Nur, wenn mir das aufgeht, ist die Einschränkung und der ganze Spiegel weg.
Und er erstrahlt in seinem eigentlichen Glanz. Das ist Erwachen. Ich kann also nichts machen, weil es nichts zu machen gibt, weil alles ja schon immer da ist und ich schon erleuchtet bin.
Und wenn ich das aber nicht weiß? Ich weiß es nicht, ich spüre es nicht, also gibt es doch ein vorher und ein nachher. Sprachlich-konzeptionell sieht es in der Tat so aus, als gäbe es da eine Erfahrung, die ich machen könnte. Aber so ist es nicht.
Ich bin schon immer in der unmittelbaren Erfahrung, nur kann ich sie nicht ausdrücken, jedenfalls nicht mit Mitteln der Sprache. Solange Sprache dazu genutzt wird, Vorstellungen zu kreieren. Solange ich Sprache nur als Laut verstehe, als dieses Blabla, was gerade ist, komme ich dem Verständnis, um das es geht, schon näher. Ich kann nichts machen, ich kann mich nur dem überlassen, was ist und verantwortlich das tun, was zu tun ist.
Bodhidharmas „weit und leer“ ist sowohl Zustand wie Prozess. Wer diesen Zustand erfährt, spricht nicht mehr von Erwachen und Erleuchtung insoweit, dass er sie auf sich selbst bezieht, um sich von anderen zu unterscheiden.
Verstehen kann ich das nur, wenn mein Verständnis über mein rationales Verständnis hinaus wächst. Eben dazu dient unsere Koan-Schulung. Das, was wir als die große Leerheit erfahren, das Nichts, also die Freiheit von jedem Phänomen, ist absolut identisch mit der phänomenalen Welt, die wir gerade jetzt mit unseren Sinnen wahrnehmen und über unser Denken reflektieren. Diese Welt und dieses Universum ist in ständiger Veränderung begriffen und alles hängt mit allem zusammen. Es findet sogar eine Entwicklung statt, scheinbar vom einfachen zum komplexen. Inwieweit diese Entwicklung absolut oder alternierend ist, wissen wir nicht. Diese Entwicklung ist aber offen, es gibt weder Anfang noch Ende.
Ich persönlich werde geboren und ich werde sterben und gleichzeitig gilt aber auch, dass ich weder geboren bin noch sterben werde. Mein Handeln hat immer Auswirkungen auf das Ganze. Jedes Erfahren und jedes Erkennen kann immer nur im Kontext von dem stattfinden, was gerade ist. Aufwachen kann ich immer nur zu dem, was gerade ist.
Dieses Ist ist Sein und Werden zugleich. Insoweit spreche ich davon, dass mein Aufwachen sich auch stetig aktualisieren kann und muss. Sonst ist es nicht umfassend. Erleuchtung ist nicht unser endgültiger Zustand sondern ein Zustand in Veränderung. Bewegung und Stille sind eins so wie Form und Leere eins sind.
Letzten Endes wird es darum gehen, diese Identität von Wesenswelt und phänomenaler Welt in jedem Augenblick zu erfahren und dementsprechend zu handeln. Ich bin von Anfang an vollkommen. Das gilt aber für jeden, egal wer er ist und wo er herkommt.