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Lesung in Starnberg 19.Juli 2019

 

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Missbrauch

Was ist Zen?

Wenn es das ist, was gerade ist und so wie es ist, dann ist es eben das ganze Leben gerade jetzt.

Dazu gehört dann nicht nur das, was unseren Wünschen, Träumen und Idealen entspricht darüber, wie die Wirklichkeit zu sein hat, sondern alle Erscheinungsformen unseres Lebens. Also das ganze Leben in seiner unendlichen Vielfalt, wie es gerade geschieht mit allen Schönheiten und Grausamkeiten.

Dazu gehört also auch all das, was Menschen anderen Menschen antun und anderen Lebewesen und dem Leben überhaupt auf dieser wunderbaren Erde.

Da Leben aber nichts Beständiges ist sondern in ständiger Entwicklung und Veränderung, stehen wir Menschen als diejenigen Wesen, die zur Reflektion fähig sind in der Verantwortung, uns zu entwickeln und zu verändern, um die Welt jeden Tag ein Stückchen besser zu machen.

Besser machen heißt hier nicht, die Wirklichkeit nach unseren individuellen Vorstellungen von Bessersein zu verändern sondern jeweils ganz genau hinzuschauen, was konkret zu tun ist, um das Leben insgesamt zu bewahren und zu fördern.

Dazu gehört zweifellos der Respekt und die Achtung vor und das Mitgefühl zu jedem einzelnen Lebewesen.
Jeden Tag sind wir vielfach Zeuge davon, dass dieser Respekt und dieses Mitgefühl fehlt. Besonders schmerzhaft ist es dann, wenn Täter unser besonderes Vertrauen hatten, weil sie uns persönlich nahe stehen oder Institutionen angehören, denen wir vertrauen und die für sich den Anspruch verbreiten, in Nächstenliebe und mit Mitgefühl zu handeln.
Seit Jahren stehen Verantwortungsträger der katholischen Kirche immer wieder im Fokus, ihnen anvertraute Kinder sexuell missbraucht zu haben.

In Augsburg wurde gerade ein Zen-Priester wegen Missbrauchs von anvertrauten Kindern zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt.

Darüberhinaus stehen immer wieder buddhistische Lehrer, auch Zen-Lehrer in der Kritik, intime Beziehungen mit erwachsenen Schülern und Schülerinnen einzugehen, unter anderen der sehr bekannte tibetische Lehrer Sogyal Rinpoche.

Es gibt den Missbrauch von Menschen durch Menschen, nicht nur im sexuellen, aber eben gerade in diesem für jeden Menschen besonders intimen und schutzbedürftigen Bereich.

Diesen Missbrauch darf es nicht geben und es gibt ihn doch. Ständig und vielerorts geschieht es und es gibt keine Rechtfertigung dafür außer vielleicht die, dass wir als Menschen eben so sind, wie wir sind.

Nicht nur achtsam, mitfühlend und liebevoll sondern schwach, unzulänglich, voller Fehler und den eigenen Leidenschaften unterworfen. Aber mit dem Potenzial, uns zu verändern und anderen Menschen und dem Leben als solches weniger Leid zuzufügen.
Dass nun gerade Menschen, die für sich einen hohen Anspruch formulieren und sich mit christlicher Nächstenliebe, buddhistischem Ethos oder einer Lebenshaltung aus der Zen-Erfahrung identifizieren, was immer sie sich darunter vorstellen, die also von Achtsamkeit und Mitgefühl predigen, auch missbrauchen und damit ihren Opfern unermessliches Leid zufügen, ist kaum auszuhalten.

Aber es kommt dennoch immer wieder vor. Es ist immer wieder eine große Enttäuschung für uns. Gerade von solchen Menschen erwarten wir es nicht, weil wir sie als Vorbilder sehen in der Bewältigung unserer eigenen Leidenschaften.
Es ist wichtig, vor diesen Taten die Augen nicht zu verschließen, sondern sich damit offen auseinanderzusetzen.

Insoweit ist auch die Veröffentlichung solcher Informationen wichtig. Das die Medien dabei wenig differenziert berichten und zu Verallgemeinerungen greifen, ist so.

Was den Fall in Augsburg angeht, da ist von einem Zen-Priester, einem Zen-Mönch, gar einem Zen-Meister die Rede, von einem Menschen, der sehr engagiert war in einer bestimmten Gruppierung, die sich als buddhistisch versteht und soweit ich weiß offensichtlich auch eine gewisse Legitimation von einer japanischen Rinzai-Zen Linie hat.
Buddhismus und Zen sind Begriffe, unter denen sich eine Vielzahl unterschiedlicher Strömungen versammeln, die sich zwar alle auf Buddha Shakyamuni berufen, aber völlig unterschiedliche Interpretation seiner Erfahrung und seines Weges vertreten.

Zen und Buddhismus sind nicht das gleiche, Zen geht über das, was der Buddhismus lehrt und lebt, weit hinaus, nicht, weil Zen ein erweitertes Konzept von was auch immer ist sondern weil Zen das Leben als solches und als ganzes gerade jetzt verkörpert.

Die Details aus Augsburg sind mir nicht bekannt, aber ich bezweifle sehr, dass der geständige Täter Dorin G. tatsächlich ein authentischer Zen-Meister ist.

Dafür gibt es einfach zu viele selbsternannte Meister. Aber auch das ist nicht der Punkt. In der Vergangenheit haben auch Menschen, die tatsächlich über eine traditionelle Übertragung als Zen-Meister verfügten, missbraucht, wenn auch nicht unbedingt im juristischen Sinne. Denn ich halte auch intime Beziehungen zu erwachsenen Schülern und Schülerinnen für eine Form des Missbrauchs.

Es wird immer wieder diskutiert, inwieweit intime, also sexuelle Beziehungen zwischen Meistern, Lehrern und Schülern beziehungsweise Schülerinnen legitim sind. Es gibt sogenannte buddhistische Wege in Europa, deren Gründer und Gurus sich rühmen, mit Hunderten ihrer Schülerinnen bereits geschlafen zu haben.

Abgesehen davon, dass ich immer wieder darüber überrascht bin, wieviele Anhänger dieser Schulen dieses Spiel mitspielen, ich halte derartige intime Beziehungen in keinem Fall für legitim.

Selbst wenn, wie in unserer Linie „Leere Wolke“, der Zen-Linie von Willigis Jäger, Meister und Lehrer ihren Schülern auf Augenhöhe begegnen wollen, sind wir doch einer Vielzahl von Projektionen ausgeliefert und es bleibt häufig ein gewisses Macht- und Einflussgefälle zwischen Lehrern und Schülern.

Niemand hat das Recht, das auszunutzen. Es liegt in der Verantwortung des Lehrers, damit überaus sorgfältig umzugehen und Schüler nicht auszunutzen, egal in welcher Beziehung.

Wenn sich Schüler oder Schülerinnen in ihren Lehrer oder Meister verlieben oder umgekehrt, dann ist das natürlich möglich aber jede Form von Schülerschaft muss zunächst beendet werden, bevor aus dieser Verliebtheit eine intime Beziehung entsteht.

Auch wenn die Liebe der grundlose Grund ist, aus der alles entsteht und die nichts ausschließt. Zu ihr gehört dann eben auch die Fähigkeit zur Verantwortung. Ich habe eine Wahl zu treffen, ich kann mich entscheiden. Nicht alles, was möglich ist, vor allem nicht alles, was ich wünsche und begehre, muss ich auch verwirklichen. Auch wenn es dieses Ich als Subjekt im Grunde genommen gar nicht gibt.

Es gibt aber die Tat und jede Tat hat Folgen.

Neuanfang

Neuanfang

Ein Jahr geht zu Ende, ein neues beginnt. Wir können also neu anfangen.
Im Laufe unserer Geschichte haben wir den Rhythmen im Universum eine Struktur gegeben. Dazu gehören auch die Zeit und der Kalender, die unser Leben so selbstverständlich einteilen, als hätten sie eine weitaus tiefere Bedeutung als diejenige, die wir Ihnen geben. So lassen wir uns in unserem Alltag häufig von der Zeit kontrollieren und geraten unter Druck, statt einfach das zu tun, was gerade anliegt und getan werden muss.
Unser Universum entwickelt sich und verwandelt sich unaufhörlich. Vor 13,7 Milliarden Jahren entstand durch den Urknall das Universum, in dem wir Menschen heute leben und das sich im evolutionären Prozess seiner selbst bewusst wird.

Als Träger von Bewusstsein spielen wir Menschen dabei eine wichtige Rolle, neigen aber zu stetiger Selbstüberschätzung. Wir nutzen die Instrumente unseres Bewusstseins, unsere Empfindungen, Wahrnehmungen und Gedanken dazu, uns einzuschränken und zu isolieren, statt die Leere, Weite und Tiefe zu erfahren, die wir sind.
Vielleicht war auch der Urknall nur ein Übergang, eine Verwandlung von einem Prozess in den nächsten und vielleicht ist unser Universum auch nur eines unter unendlich vielen. Unsere Galaxie ist ein winzig kleiner Teil unseres Universums und unsere Sonne ist eine von Milliarden anderer unserer Milchstraße. In einer Milliarde Jahren wird unsere Sonne unsere Erde verschlungen haben, auf der sich bis dahin die Kontinente mehrfach vereinigt und wieder geteilt haben. In zwei Milliarden Jahren wird unsere Galaxie, die mit einer Geschwindigkeit von 900.000 Kilometern pro Stunde um ihren Mittelpunkt rotiert, wahrscheinlich mit ihrer Nachbargalaxie Andromeda kollidieren. Überall im Weltraum können wir heute die Geburt und den Tod von Sternen und Galaxien beobachten.
Soweit hinaus geht unser Blick in der Regel aber nicht. Wir haben genug mit der Bewältigung unseres Alltags zu tun und fühlen uns betroffen oder abgestoßen von all dem, was um uns herum in der Welt geschieht. Diese Welt und ihr Dasein ist aber immer unser Dasein. Es entsteht aus sich selbst heraus und hat nur den einen Zweck, gelebt zu werden.
Wandel und Neuanfang geschehen jeden Augenblick – ganz im Gegensatz zu fast allen Weltbildern der Menschheitsgeschichte, die versuchen, die komplexen dynamischen Prozesse der Evolution auf statische Gesetzmäßigkeiten zu reduzieren, um damit die Wirklichkeit den beschränkten aber entwicklungs-fähigen Wahrnehmungsfähigkeiten des Menschen anzupassen.
Jeder Mensch kreiert sich seine Wirklichkeit nach seinen Möglichkeiten. Uns allen gemein ist die Tendenz, festzuhalten, einzugrenzen und zu beschränken. Natürlich brauchen wir gewisse Strukturen zur Orientierung, also Landkarten der Wirklichkeit. Wir laufen aber ständig Gefahr, diese vereinfachten Abbilder der Wirklichkeit mit ihrer wahren Natur zu verwechseln und verbissen daran festzuhalten. Wenn sie uns dann genommen werden, bricht häufig die Welt für uns zusammen und ihre Trümmer drohen uns, zu erschlagen.
Unser Ich richtet unser Leben ein, baut einen imaginären Raum um uns herum, der uns Sicherheit, Geborgenheit und vor allen Dingen Kontinuität bietet, der uns gleichzeitig aber beschränkt. Nur, wenn wir offen sind, können wir diesen Raum verlassen, ihn von außen betrachten, umbauen und an neue Umstände anpassen. Meist sorgt das Ich jedoch dafür, dass wir an dem einmal konstruierten Raum festhalten und Angst uns daran hindert, weiterzugehen.

Wir wollen behalten, was uns vertraut ist, gleich ob Besitz, Einfluss, Beziehungen oder Weltbilder.
Veränderungen brechen dann über uns herein und werfen uns aus der Bahn. Ein Todesfall in der nächsten Umgebung, die Trennung vom Lebenspartner, der Verlust des Arbeitsplatzes, eine schwere Krankheit, all dies können Ereignisse sein, die uns zutiefst verunsichern und uns den so sicher geglaubten Boden unseres selbst konstruierten Raumes unter den Füßen hinwegziehen.

Sie zeigen uns, dass das Leben in ständigem Wandel begriffen ist. Diesem können wir uns anvertrauen und können dann mitgestalten oder wir können uns verweigern und in tiefe Depressionen fallen.
Wenn wir im Za-Zen auf unserem Kissen sitzen, fangen wir immer wieder neu an.

Anfänger sein heißt nicht, auf Erfahrenes und Bewährtes nicht zurückgreifen zu können, sondern sich immer wieder neu zu öffnen für das, was ist. Wir müssen dabei gar nichts leisten, nur loslassen, immer und immer wieder. Und loslassen bedeutet, dass wir uns zurücknehmen, dass wir unserem Ich weniger Bedeutung beimessen, es relativieren, indem wir unseren Horizont weiten und Raum für neue Einsichten schaffen. Wir tun das, indem wir nichts tun.

Wir schauen einfach auf unseren Atem. Aus der festen Basis, die unser Unterleib gründet, steigt unser Ausatem empor und vergeht. Der Einatem kommt und macht uns neu. Das ist alles.

Wer mit Mu oder einem Koan übt, läßt sie den Atem begleiten.
Jeder von uns ist ein Anfänger. Es gibt nichts Erreichtes, das wir festhalten können. Unsere Erfahrung ist wie ein immerwährender Fluss, unsere Wirklichkeit ist dieser Fluss, wir können ihn nicht aufhalten, denn wir sind es selbst, das da fließt.
Immer wieder neu anzufangen, bietet immer wieder neue Möglichkeiten. Wenn ich vertraue, gelingt es mir.

Ich brauche keine Angst zu haben, wenn ich das Geheimnis des Daseins erkenne.

Die Sonne scheint, weil sie scheint und ich liebe, weil ich liebe.
All das bleiben leere Worte und Appelle, solange ich es nicht selbst erfahre. Dafür brauche ich mein Kissen: ich setze mich einfach hin, schaue auf meinen Atem, er geht und kommt, immer wieder neu. Dann stehe ich wieder auf und setze meinen Alltag fort und siehe da:

Vieles wirkt plötzlich so neu,
meine Umgebung, meine Mitmenschen,
mein Denken und Tun.
Ich bin wieder in den Fluss gekommen.
Ich kann mein Leben wieder spüren.
Intuitiv kommen neue Erkenntnisse.
Nur Einatmen, nur Ausatmen!

Zen!

Ein Weg über das Ich hinaus.

Was ist Zen?
Zen ist die letztlich nicht beschreibbare und nicht vermittelbare Erfahrung der Quelle jeder Wirklichkeit.

  • Wer bin ich?
  • Wo komme ich her?
  • Wo gehe ich hin?
  • Warum bin ich überhaupt hier?

Sie offenbart sich in diesem Augenblick.
Du kannst sie spüren in diesem Atemzug gerade jetzt!
Erfahrbar ist sie nur von jedem Einzelnen selbst als sein wahres Wesen.
Nur Du allein kannst es herausfinden, alles, was Du brauchst ist in Dir!
Diese Erfahrung hat keinen Namen, aus ihr entspringt keine Lehre, keine Tradition.
Nenn‘ es wie Du willst, es kommt nicht auf die Worte an! Die Wahrheit liegt vor dem Wort!
Und dennoch, alle spirituellen Traditionen haben dort ihren Ursprung und gaben ihm viele unterschiedliche Namen.
Wenn Du Dich in einer Tradition oder Konfession zu Hause fühlst, so lebe sie aus Deiner Erfahrung!

Jeder, der sich auf den Weg macht, kann diese Erfahrung der absoluten Freiheit machen.

Der Weg ist weit, doch das Ziel ist immer bei Dir, gerade jetzt!
Aus ihr erwächst universale Liebe.

Annehmen, was ist!

Loslassen, was ist!