Ich bin Hanna!

Ich bin Hanna!

Wenn ich mich auf den Zen-Weg mache, mache ich mich auf einen Weg des Herzenswandels. Wie sonst können wir den zahlreichen Herausforderungen begegnen, die sich uns im Alltag stellen? Diese Herausforderungen in sozialer, ökonomischer und ökologischer Hinsicht scheinen immer weiter zu wachsen und viele von uns fühlen sich überfordert, leer und verzweifelt angesichts dessen, was alltäglich auf sie zukommt. Wir brauchen eine völlig neue und umfassende Sichtweise. Und die beginnt bei uns selbst. Immer wieder habe ich dabei zu entdecken, wer ich bin. Darauf kann ich jederzeit zurückgreifen. Vieles weiß ich schon, vieles neue werde ich erfahren, wenn ich mich konsequent auf diesen Weg einlasse.

Zunächst einmal bin ich derjenige, der ich denke zu sein, mit all meinem Zweifel. Ich habe viele Gedanken, Vorstellungen, Bilder von mir, kann fühlen und mich spüren. Ich kann mich vor einen Spiegel stellen und sehen, welche Form mein Körper hat. Das bin alles Ich, oder? Auch im sozialen Miteinander bekomme ich viele Informationen über mich. Mir wird gesagt, wie ich bei anderen ankomme und was mein Verhalten und mein Aussehen bei ihnen provoziert. Das kann durchaus widersprüchlich sein. Ich richte mich danach aus, was andere von mir denken oder ich versuche, stark zu sein und es zu ignorieren. 

In meiner Kindheit habe ich mich an den nächsten Bezugspersonen orientiert, den Eltern, den Geschwistern, den Lehrern und allen anderen, die mir irgendwie nahe standen. Ich habe mich zusätzlich an allen Informationen orientiert, die ich in mir aufgenommen habe, aus Medien, Büchern, Filmen, Fernsehen. Heute entsprechen dem vor allem die sozialen Netzwerke und die zahllosen Informationsportale im Netz.  

Als ich dann älter wurde, habe ich vieles davon infrage stellen können, weil ich zunehmend in der Lage war, über mich selbst und über die Welt nachzudenken und zu reflektieren. So habe ich vielleicht übernommene Konzepte und Vorstellungen abgelegt und eigene konstruiert. Ich habe auch die Welt meiner Gefühle entdeckt und feststellen können, das Fühlen und Denken nicht immer deckungsgleich sind sondern häufig Verwirrung und Unklarheit mit sich bringen.

Auf einem spirituellen Weg wie unserem Zen-Weg geht die Suche nach Erkenntnis und Erfahrung weiter. Ich will mich dabei nicht nur in einer Beziehung zu mir selbst und meiner direkten Umgebung erfahren und definieren sondern mein Suchen und Sehnen richtet sich auf alles, was darüber hinaus führt. Ich habe vielleicht mit Schrecken erfahren, wie vergänglich mein Leben und das Leben überhaupt ist. Ich habe Verlust erlebt und getrauert und gespürt, wie kurz diese Spanne zwischen Geboren werden und Sterben doch eigentlich ist und wie wenig Zeit zur Verfügung steht dieses, mein Leben zu leben. Der Tod ist unumgänglich, warum dann überhaupt leben? Auch dazu lassen sich viele Antworten finden in Religionen und Ideologien. Antworten von anderen, die vielleicht trösten und ablenken. Auf meinem spirituellen Weg will ich eigene Antworten finden, Antworten, die tragen und überzeugen. Das allerwichtigste, was ich auf diesem Weg zu erfahren habe. Ja, es geht um die Überschreitung meiner bisherigen Grenzen und um die Überwindung meines bisherigen Weltbildes. Ich überschreite aber nicht in ein wie auch immer geartete Jenseits, ich löse mich nicht auf in ein wie auch immer verstandenes Nirwana, dessen Erreichen den Kreislauf meiner Wiedergeburten beendet. Im Gegenteil, ich komme dort an, wo ich schon immer war in der Welt und in dem Alltag, in dem ich jetzt bin. Wenn ich erwache, sehe ich meinen Alltag und die ganze Wirklichkeit so, wie sie ist. Den Satz aus dem Herz-Sutra „Gate, Gate Paragate, Parasamgate Bodhi Svaha“ (Drüben, drüben, drüben am anderen Ufer, angekommen am anderen Ufer) verstehen wir falsch, wenn wir das Ufer, das zu erreichen ist in einem jenseitigen Bereich suchen. Das Ufer ist schon immer hier und ich stehe schon immer darauf. Das ist Aufwachen. 

Auf spirituellen Wegen gibt es Begleiter, die einen unterstützen sollten, eigene Antworten zu finden. Viele tun das auch. Manche helfen und unterstützen aber nicht, sondern verfolgen nur ihre eigenen Interessen. Sie nutzen dann ihre Funktion, um andere zu manipulieren und zu missbrauchen. Sie können das umso leichter, umso mehr sie von denjenigen, die ihnen folgen, idealisiert werden. Weil wir davon ausgehen, dass sie die wichtigen Erfahrungen bereits gemacht haben, also einem vorausgegangen sind. Sie haben es bereits geschafft und können einem vielleicht in der eigenen Not helfen und das eigene Leid lindern.

Wenn wir auf unserem Weg die eigenen Grenzen überwinden wollen, die auf unseren Vorstellungen und bisherigen Erfahrungen, vor allem aber unseren Gewohnheiten beruhen, können wir das nicht dadurch tun, in dem wir die Vorstellungen von anderen übernehmen. Es geht um die eigene Erfahrung und es geht um das eigene Vertrauen. Selbstvertrauen entwickeln und an sich selber glauben im Sinne von „Es ist mein Weg und ich werde das schaffen!“ sind wichtig. Es geht nicht darum, an einem begrenzten Ich festzuhalten, aber es geht auch nicht darum, mein Ich durch das Ich eines anderen zu ersetzen, auch nicht durch das Ich eines Begleiters, den ich verehre. Ein guter Begleiter macht mir das immer wieder klar. Ich bin Hanna! oder Ich bin Manfred! oder Ich bin Peter! oder Ich bin Marika! Was all das heißt, muss ich herausfinden. Dazu ist der Zen-Weg da. Deswegen üben wir, deswegen sitzen wir, deswegen leben wir. 

Jeder von uns ist eine einmalige Form, ist dieser unverwechselbare und kostbare Ausdruck und ich darf mir mit Respekt, Achtung und mit Liebe begegnen, so wie ich allen anderen Formen der Wirklichkeit begegnen sollte. Was sich auf unserem Weg auflösen sollte, ist die Fixierung auf eine Form, ist das Festhalten und das Reduzieren aber nicht die Form als solche. Das „Ich“ auflösen heißt, Fixierungen aufzulösen, Grenzen zu überschreiten, alte Gewohnheiten zu erkennen und abzulegen und Verantwortung für sich zu übernehmen. Dieser Mensch, der ich bin in diesem Augenblick gerade jetzt, dieser Mensch, der ich bin in der Phase zwischen meinem Geboren werden und meinem Sterben ist nichts anderes als die Leere selbst. „Form ist wirklich Leere, Leere wirklich Form“, sagt das Herz-Sutra und „Leere ist Form, Form ist Leere“. Leere und Form sind Nicht-Zwei. 

Ich bin jetzt und jederzeit ein vollkommener Ausdruck des Absoluten oder wie man es auch immer nennen mag, In dieser meiner Form offenbart sich die Leere. Und auch, wenn ich diese Form als noch so unzulänglich oder gar abstoßend finde, wenn sie in meiner Bewertung also völlig durchfällt, ändert das nichts an ihrem Sosein. Aus der Perspektive der Form werde ich geboren und ich werde sterben, aus der Perspektive der Leere gibt es wieder Sterben noch Geboren werden. Leere und Form sind nicht zwei verschiedene Dinge. Dieses Ich, was ich spüre oder denke zu sein, das gibt es nicht als substantielle Entität. Das gibt es nicht im Sinne eines fixierbaren Egos. Das gibt es nur in meine Einbildung. Und Leiden entsteht vor allem, wo ich an dieser Einbildung festhalte. Es gibt immer nur das unmittelbare Erfahren und das unmittelbare Tun. 

Ein jeder von uns ist ein einmaliger Prozess in einem unendlichen Prozess. Doch beide Prozesse sind nicht voneinander verschieden, sie bilden einen Prozess. „Die Welle ist das Meer“, sagt Willigis Jäger und „das Meer ist diese Welle, die ich bin, diese einmalige Welle“. Ich habe herauszufinden, was diese einmalige Welle ist. Meine Lebensaufgabe ist es, diese einmalige Welle zu sein und sie und damit meine wahre Natur in all ihren Möglichkeiten zu verwirklichen. Ich übernehme Verantwortung für mich und für meine Welle. Ich kann sie verändern und alte Gewohnheiten und Vorstellungen lassen. Aus einer engen und konditionierten, kraftlosen und eingeschränkten Welle kann ich eine freie und dynamische Welle machen. Aber es bleibt immer die Welle, die ich bin. Und ich werde erfahren, dass diese Welle und dieses „Ich bin“ das Meer und das Ganze ist und dass kein Unterschied besteht, dass es nur dieses eine Leben in einem Prozess gibt. Dann fallen alle Perspektiven zusammen und es gibt weder Leere noch Form und es gibt wieder Leben noch Sterben. Es gibt nur diesen Augenblick gerade jetzt. Und den gibt es für ewig. 

Es geht bei diesem Weg nicht um die eigene Selbstverwirklichung. Wenn ich spüre und erfahre, dass ich nicht getrennt bin von allem anderen, dann bedeutet Verantwortung übernehmen für mich auch Verantwortung übernehmen für das Ganze. Und dem-entsprechend habe ich dann zu handeln, in Liebe.