Wer bin ich?

Wer bin ich?
Darauf gibt es unendlich viele Antworten, mehr als es Menschen gibt, die diese Frage stellen. Eine Antwort ist eine Idee, ein Gedanke, eine Vorstellung, ein Bild, ein Konzept.
Doch darum geht es im Zen nicht. Wenn wir da mit der Frage „Wer bin ich?“ beschäftigt sind, wollen wir keine konkrete Antwort in Form eines Konzeptes. Wir wollen nicht ein Konzept durch ein anderes ersetzen.
Und doch gibt es eine Antwort, es gibt sogar eine endgültige Antwort. Es gibt eine Antwort, die alle Antworten übersteigt. Aber die kann ich dir nicht sagen, die musst du selbst herausfinden.
Dafür ist unsere Übungsweg da, unsere Tradition, unsere Praxis, unser Sitzen. So einiges wirst du schon erfahren haben, was dich motiviert, weiter zu suchen. Eine Ahnung, eine Sehnsucht, eine Vorstellung von dem, wie es sein könnte und was hinter den vielen Worten steckt, die man in vielen alten Schriften und neuen Büchern lesen kann.
Wieso bekomme ich auf meine Frage, ob ein Hund Buddhnatur hat, von Joshu die Antwort „Mu!“? Und was soll ich anfangen mit dem Koan „Mit leeren Händen ergreife ich einen Pflug“? Was ist der Sinn des Ganzen?
Wer bin ich? Auf diese Frage werde ich immer zurückgeführt. Wenn ich mit diesem Übungsweg beginne und einfach nur in der Stille sitze und meinem Atem folge, was passiert dann? Ich werde von einer Vielzahl von Empfindungen, Wahrnehmungen, Gedanken und Konzepten überflutet und erst allmählich und nach viel Übung gelingt es mir, etwas zu spüren, was in Richtung Ruhe und Stille geht.
Wenn ich mich zum Augenblick hin sammle, immer zu dem, was gerade ist, spüre ich mich als die Form, die ich bin. Ich bin in meiner leiblichen Dimension ganz Körper in seinem biografischen Gewordensein und genauso bin ich es auch in meiner geistigen Dimension.
Ich erfahre mich als Prozess in einem Prozess in einem ständigen Austausch. Grenzen meiner Form und aller Formen sind nur scheinbar, sie sind durchlässig und diese Formen sind in ständiger Bewegung und Veränderung. Da ist nichts Starres und nichts Beständiges. Alles ist mit allem verbunden und alles scheint in einem kausalen Zusammenhang zu stehen. Eins ergibt das andere. Aber diese Sichtweise ist schon wieder Interpretation, ist schon wieder Ergebnis unseres konzeptionellen Denkens.
In Wirklichkeit geschieht alles in diesem Augenblick und zwar in jedem Augenblick neu. Ich kann noch so sehr versuchen, festzuhalten und zu fixieren. Es wird mir nicht gelingen und festhalten provoziert vor allem Leiden. Weil das, was wir glauben festhalten zu können, gar nicht existiert. So quälen wir uns und sind voller Schmerz.
Im Herz Sutra lesen wir: „Form ist Leere, Leere ist Form.“ Das habe ich zu erfahren. Ich habe Form als Form zu erfahren und Leere als Leere und ich habe Form als Leere zu erfahren und Leere als Form. Das sind keine philosophischen Kategorien, die Leere ist nicht das Nichts oder irgend ein anderer Begriff. Es geht immer um das Leben jetzt, um mein Leben in meinem Alltag. Mein Lachen jetzt, mein Weinen jetzt.
„Wenn der Regen auf die Pfirsichblüten trifft, fliegt der Schmetterling davon“, heißt es in einem Koan oder „Wenn du deinen Reis gegessen hast, dann wasche deine Essschale“, in einem anderen. Tue, was zu tun ist und tue es jetzt. Da ist kein Ich, das aktiv ist, denkt und handelt. Da ist nur tun. Das ist der Weg.