Alle Beiträge von Manfred Rosen

Sesshin September 2019

Mittwoch, 25.9.2019, 18 Uhr bis Sonntag, 29.9.2019, 13 Uhr Sesshin  Info

Zazenkai

Nächstes Zazenkai im Dörp am 7. September 2019
Anmeldung: doerp@me.com
Nächstes Zazenkai in Nürnberg am 17.11.2019
Anmeldung

Lesung in Starnberg 19.Juli 2019

 

http://buecherjolle.de/veranstaltungen/61-was-gibt-uns-zen

Studentencamps 2019

Türöffner-Tag

 

Eine kostenfreie Veranstaltung, gefördert von der West-Östliche Weisheit Willigis Jäger Stiftung
am Mittwoch, 03. Oktober 2018
von 10.30 bis 12.30 Uhr sowie von 14.00 bis 16.00 Uhr
in Gewölbesaal, Zengarten und Wiesenlabyrinth

Der 3. Oktober 2018 steht im Zeichen der Kinder: „Die Sendung mit der Maus“ (WDR) hat zum 8. bundes-weiten „Türöffner-Tag“ aufgerufen. Auch die Stiftung West-Östliche Weisheit Willigis Jäger macht mit und bietet eine Einführung in Stille und Achtsamkeit für Kinder und Jugendliche an.

Stell Dir vor, um Dich herum wäre es für eine ganze Weile ganz still. Und Du selber wärst auch ganz still. Wie das wohl wäre?

Komm mit auf eine Entdeckungsreise in die Stille. Zusammen mit dem Zen-Meister Manfred Rosen, einem Experten für Stille erlebst Du, wie gut sich Stille anfühlt, was Du trotzdem hörst und wie man auch ohne Worte und Geräusche kommunizieren kann.

Einmal in der Stille angekommen, kann man immer wieder zu ihr zurück. Und wenn man sie dann verlässt, bleibt sie doch in einem drin.

Um das eigene Potential zu verwirklichen, um selbstständig und mitfühlend zu werden, brauchen Kinder nicht nur Vertrauen zu ihrer Mitwelt, sondern auch Möglichkeiten, sich selbst verstehen und schätzen zu lernen. Diese Möglichkeiten bieten Meditation und die Haltung der Achtsamkeit, so wie wir sie auf dem Benediktushof verstehen und einüben. Authentische Begegnungen, intensiver Austausch, das Erspüren unserer jeweils ganz individuellen körperlichen Präsenz, vor allem aber die Erfahrung der Stille im Innen wie im Außen jenseits von allem Lärm und Aufruhr, stehen im Mittelpunkt.

Der Atem, das eigene Ein- und Ausatmen, leitet uns. Jeden Augenblick das erfahren, was ist und wie es ist und daraus handeln in Freiheit, jenseits aller Konditionierungen. So einfach.

Am Mausöffnertag gibt es zwei Gruppen: von 10.30 bis 12.30 Uhr sowie von 14 bis 16 Uhr.

Wir werden die verschiedenen Räume der Stille auf dem Benediktushof erkunden, ausprobieren, wie sich Stille in Alltagssituationen anfühlt und mit Körper- und Meditationsübungen Stille direkt erfahren. Nach Möglichkeit werden wir im wunderschönen Zengarten des Benediktushofes üben und das Wiesenlabyrinth kennenlernen.

Die begleitenden Erwachsenen haben die Möglichkeit, während des Kurses im vegetarisch-veganen Café-Restaurant TROAND zu verweilen. Hier bieten wir von 11.30 bis 13.15 Uhr und 13.30 bis 15.15 Uhr einFeiertags-Schlemmer-Buffet an.

Leitung:
Manfred Rosen, Sozialarbeiter, Traumatherapeut und Zen-Meister in der Willigis Jäger-Linie „Leere Wolke“. Auf dem Benediktushof schwerpunktmäßig mit Kursen für Kinder und Jugendliche unter dem Titel „Zen für dich, Zen für euch“ vertreten.

Anmeldung erforderlich:
Die Teilnehmerzahl ist begrenzt, bitte melden Sie die Kinder/Jugendlichen mit Angabe des Alters unter der Telefonnummer 09369 – 98380 oder per Mail an kurse@benediktushof-holzkirchen.de an (Kursnr. 18VRO01).

Veranstaltungsort: Gewölbesaal / Zengarten / Wiesenlabyrinth

WAHRE WIRKLICHKEIT

Wahrlich, fehlt gerade irgendetwas? Das Nirvana ist hier, vor unseren Augen. Dieser Ort hier ist das Lotosland, dieser Körper hier der Buddha. Hakuin

Die WAHRE WIRKLICHKEIT ist die Wirklichkeit, die gerade jetzt ist.

Wie jetzt, das kann doch nicht? Du willst doch nicht behaupten, dass diese Welt mit all den Ungeheuerlichkeiten, die tagtäglich geschehen, das ersehnte Paradies ist? Du meinst doch wohl nicht ernsthaft, dass ich mich mit all meinem Unwohlsein, Leid und Unglück im Grunde bereits im Nirwana, im unendlichen Glück, aufhalte? Das Glück, das ich kenne, verweilt bei mir nur kurz. Kaum habe ich es, ist es auch schon weg und lässt mich leer zurück.

Wenn ich auf einem spirituellem Weg bin, mich in Kontemplation übe oder Zen, bin ich auf einem Weg, der mich hinführen soll zu dieser irgendwie anderen Wirklichkeit. Meine Alltagswirklichkeit zu verlassen, gerade darum habe ich mich auf den Weg gemacht. Das Leben, das ich geführt habe, das Wissen, das ich angesammelt und den Glauben, den ich möglicherweise gepflegt habe, all das möchte ich doch verändern, irgendwie überwinden. Ich habe gehört, da könne man etwas „erweitern“. Jedenfalls war ich mit der aktuellen Situation nicht mehr zufrieden, vielleicht überhaupt noch nie oder mein bisher festgefügtes Weltbild passte plötzlich nicht mehr, wurde erschüttert durch ein Ereignis, das mir den Boden unter den Füßen wegriss. Jetzt muss ich mich neu orientieren, brauche frischen Input für meine weitere Entwicklung. Schmerzhaft habe ich erfahren müssen, das nichts so bleibt, wie es ist, das nicht nur die Welt in stetiger Veränderung begriffen ist sondern auch meine ganz konkrete Welt um mich herum. Nichts bleibt so, wie ich es gerne hätte. Alles, was ich zu erreichen glaubte, zerrinnt mir wie Sand zwischen meinen Fingern. Schlimmer noch, gerade das Schöne, das Angenehme, das Liebgewonnene und Wertvolle ist nicht zu halten und scheint sich zu verflüchtigen während das Unangenehme, Schmerzhafte und Bedrängende bleiben will. Was soll das nur? Womit habe ich das verdient? Bin ich geboren, um dann zu leiden und zu sterben? Gut, es gibt Perioden mit einer gewissen Stabilität, vieles in meinem Alltag lässt sich verändern, ich selbst bin nicht nur gesellschaftlich aktiv sondern übe mich in der Optimierung meiner Persönlichkeit, schließlich kann ich nicht erwarten, dass die anderen sich immer nach mir richten, aber irgendwann kommt dann wieder ein Tiefschlag. Ich will mich nicht geschlagen geben und probiere ständig etwas Neues so. Ich will die Wirklichkeit so verändern, dass sie endlich passt, dass sie endlich so ist, wie ich es brauche. Ich will nicht immer enttäuscht werden.

Ein spiritueller Weg verspricht mir, endlich aufzuwachen, endlich anzukommen und das Leben so zu sehen, wie es ist. Da scheint ein Mehr drin zu stecken, ein Gewinn. Könnte es tatsächlich gelingen, eins zu werden und alle Getrenntheit zu überwinden? Ist es das, was mir fehlt? Es hört sich jedenfalls gut an und könnte endlich den stetigen Misserfolgen ein Ende bereiten. Nie mehr unglücklich sein und aufgehoben in unermesslicher Liebe.

So ist es nicht. Es geht in der Tat um die Erfahrung der WAHREN WIRKLICHKEIT. Und diese Erfahrung ist überwältigend und stellt alles bisherige auf den Kopf. Vielleicht aber auch andersrum, vom Kopf auf die Füße, indem sie all unsere Einbildung, all unser Festhalten und Klammern, all unsere Ängste wegwischt. Und die größte Angst ist ausgerechnet identisch mit demjenigen, den wir für den Mittelpunkt unseres Daseins halten, um den sich alles dreht, mit dem wir alles steuern. Unser Ich. Oh, nicht wieder das arme Ich „bashen“, höre ich die Kommentare der Fortgeschrittenen. Aber darum geht es gar nicht, das Ich ist als Instrument zur Orientierung und Alltagsbewältigung hilfreich, sinnvoll, sogar unabdingbar. Aber eben nur ein Instrument und nicht das Zentrum des Lebens und Erfahrens. Leben und Erfahren geht immer nur im Augenblick. Und im Augenblick gibt es kein Ich, da gibt es nur das unmittelbare gerade Jetzt, kein Ding, kein Begriff, kein Handelnder, keine Person, kein Subjekt, kein Objekt.

Die WAHRE WIRKLICHKEIT ist nicht das biblische Paradies, das ich erreichen könnte, kein Jenseits, das eines wie auch immer gearteten Schrittes oder Sprungs bedarf. Es bedarf auch nicht meines Todes. Ich kann mich anstrengen wie ich will, laufen bis zum Umfallen und werde doch niemals ankommen. Was für eine Enttäuschung! Oder?

Das war jetzt gemein, zugegeben. Also raus damit! Wie kannst du ein Ziel erreichen, an dem du schon bist, wie einen Gipfel besteigen, auf dem du schon stehst?

Das meinst du jetzt nichts ernst? Diese triste und düstere Wirklichkeit ist das gelobte Land?

Es ist paradox und lässt sich nur auf paradoxe Weise erklären. Etwas erreichen, was schon erreicht ist, etwas erfahren, was ich jeden Augenblick erfahre, gerade auch dann, wenn ich es nicht erfahre. Es gibt überhaupt kein Etwas, es gibt Nichts, von dem ich jemals getrennt sein könnte, weil ich von Anfang an immer schon eins bin. Es gibt auch keinen Anfang, es gibt auch kein Ich. Es ist immer schon das So-Sein, es ist immer schon eins, jedenfalls Nicht-Zwei, auch wenn ich mir einbilde, dass ich getrennt bin. In dem Augenblick, in dem ich realisiere, dass auch meine Vorstellung von Trennung eins ist, dass jede meiner Vorstellungen eins ist, hat sie sich aufgelöst.

Um nachzuvollziehen, was ich sage, ist die spirituelle Praxis, unser Za-Zen sinnvoll, vielleicht sogar notwendig. Die WAHRE WIRKLICHKEIT ist aber immer schon da und verlässt mich niemals. Sie ist genau das, was ich jetzt bin. Ich kann niemals aus ihr herausfallen. Wenn ich das erfahre, kann ich endlich aufhören, einer Ersatzbefriedigung nach der anderen hinterherzulaufen. Ich kann aufhören, Seifenblasen zu jagen. Ich kann endlich einfach leben. Das heißt nicht, dass nichts mehr zu tun wäre, im Gegenteil. Die Alltagswirklichkeit, die ich erfahre, ist immer eine konstruierte Wirklichkeit, sie ist immer gestaltet und ich bin für ihre Gestaltung mitverantwortlich. Nichts muss ich erlangen, es gibt nur diese Zeit und diesen Ort jetzt hier. Das ist, was ich grundsätzlich anzunehmen habe. Das ist vollkommen. Aus diesem Einssein heraus schaffe ich meine persönliche und soziale Wirklichkeit, in Mitgefühl.

Was ist die GANZE Wirklichkeit?

Was ist die GANZE Wirklichkeit? Immer und immer wieder die gleiche Frage.

Unsere Koan-Sammlungen sind voller Begegnungen zwischen Schülern und Meistern, wo diese Frage gestellt wird, in unterschiedlichen Gewändern. In alten Zeiten fragten die Zen-Schüler oft „Was ist Buddha?“ und meinten damit das gleiche. Nicht den historischen Buddha, sondern den Wesenskern seiner Erfahrung, nichts anderes also als unseren eigenen Wesenskern und eben die ganze Wirklichkeit. Und die Antworten überraschen alle diejenigen, die einen philosophischen Diskurs erwarten, einen konkreten Entwurf, ein bestimmtes Konzept, dem wir folgen und mit dem wir uns auseinandersetzen können. Die Geschichte der Philosophie kennt viele Interpretationen des Begriffs Wirklichkeit. Auf unserem spirituellen Weg hilft uns vielleicht die Deutung unseres christlichen Mystikers Meister Eckart: Wirklichkeit = Wirken im Jetzt.

Nichtsdestotrotz führt für unser Zen jeder Versuch einer Interpretation in die Irre. Die Erfahrung des Zen liegt eben jenseits von Konstruktion und Konzept. Davon zeugen zum Beispiel die Fälle 18 und 21 aus dem Mumonkan. Im Fall 18 antwortet Meister Tôzan (-990) auf diese Frage mit „Masagin!“ (Drei Pfund Flachs), im Fall 21 sein Dharmaüberträger Ummon (-950) mit „Kanshiketsu!“ (Ein vertrockneter Kotspatel). Letzterer hatte wohl damals in China die Funktion, die heute unser Toilettenpapier übernommen hat. Und Flachs war damals in China wie bei uns der Stoff, aus dem unsere Kleidung und Haustextilien gewebt wurden, Leinen.

Was hat diese Antwort mit der gestellten Frage zu tun? Und was würdest Du, mein Schüler von heute davon halten, wenn ich Deine wohlüberlegte Sinnfrage mit dem Ausruf „Klopapier!“ beantworten würde. Dennoch sind die Antworten der alten Meister kein willkürlicher Unsinn. Also, was heißt das nun, „Masagin!“, „Kanshiketsu!“? Um das zu verstehen, muss ich eins werden mit diesem Koan und alles über Bord werfen, was mir gedanklich dazu einfällt, alle Erklärungen und auch alle Gefühle des Abscheus und des Ekels. Was haben die Hinterlassenschaften unseres Stoffwechsels mit den großen Fragen des Lebens zu tun? Die meisterlichen Antworten sind sicherlich nicht nachlässig dahergesagt sondern offenbaren die überragenden Fähigkeiten der damaligen Lehrer, aus tiefstem Mitgefühl die Augen ihrer Schüler zu öffnen.

Im Zen gibt es kein Darüberreden. So wichtig in unserem zwischenmenschlichen Umgang der Autausch und eine funktionierende Kommunikation ist, haben sie in der Übung nichts zu suchen und sind eher hinderlich. Oder wir müssen sie in einer anderen Dimension jenseits von Worten und Begrifflichkeiten verstehen und praktizieren. Wir können sogar unsere Sprache benutzen, das tun die Koans ja auch, aber die Worte führen dann über ihre eigentliche Bedeutung hinaus in die Wirklichkeit des NICHT-ZWEI, die nichts anderes als unsere konkrete Alltagswirklichkeit ist.

Wie kann sie aber unsere konkrete Alltagswirklichkeit sein, wenn ich davon gar nichts merke? Die Formen sehe ich, viel zu viele davon, aber wie ist es mit der LEERE, mit dem URSPRUNG, mit dem Unbegreiflichem, zu dem mich mich meine Sehnsucht hinzieht? Der Unterschied scheint in einer veränderten Sichtweise zu liegen. Ich sehe einmal meine Wirklichkeit aus der Perspektive eines differenzierenden Denkens und ein andermal aus der Perspektive eines vereinheitlichenden Denkens. Dieser Gedanke führt in die richtige Richtung, ist aber noch ein Gedanke. Er erklärt, hat aber nichts zu tun mit der ERFAHRUNG als solche.

Es ist eben so, die GANZE Wirklichkeit zeigt sich mir immer konkret in jedem Augenblick. Es ist dies, dies, dies. Um sie zu sehen, muss ich die Schranke ohne Tor passieren. Nichts verändert sich dann, doch alles ist verändert und strahlt in einem neuen Licht, besser noch, es strahlt in einem Licht.

Keine Sorge, auch Du stehst in diesem Licht und badest in seinen Strahlen, mehr noch, Du bist derjenige, der strahlt.

Geschichten

Im Zen geht es nicht um Geschichten. Im Zen geht es immer nur um den Augenblick gerade jetzt. Das ist die ganze Wirklichkeit.

Das willst du nicht hören. Du liebst deine Geschichten. Ohne Geschichten verfällst du in Panik. Vielmehr, es ist dein Ich, was vor Angst zittert. Deinem Ich fällt immer etwas Neues ein, es ist schlau, es ist geschickt, es weiß sich zu verstecken und dir glauben zu machen, du wärest auf dem Weg, es zu überwinden. Dass Ich überwinden, so heißt es doch immer in den spirituellen Traditionen, das kleine, verblendete Ich, dass mich davon abhält, die Wirklichkeit so zu sehen, wie sie ist.

Gleich, ob ich auf einem spirituellen Weg bin oder ganz einfach nur mein Leben lebe, meine Geschichten geben mir den Rahmen, in dem ich mich bewege, sie helfen mir die Wirklichkeit zu deuten und zu verstehen. Sie helfen mir, mich zu verstehen. Jedenfalls tun sie so. Je nachdem, welche Geschichte ich mir gerade ausdenke, beeinflussen sie mein ganzes Leben, meine Stimmungslage, meine Gefühle, meine Motivation und das daraus folgende Denken. Empört könnte ich zurückweisen, ich denke mir keine Geschichten aus, ich lebe in einer Geschichte, meiner Geschichte, die mit meiner Geburt begann oder auch schon viel vorher, je nachdem ob Wiedergeburten in meine aktuelle Dramaturgie passen. Ich weiß doch schließlich, was mir widerfahren ist, jedenfalls mehr oder weniger und wenn ich es nicht weiß, gehe ich zu Fachleuten, die mir bei der Deutung helfen. Darum sind die Praxen der Psychologen und Therapeuten noch immer voll. Und die der zahllosen alternativen Deuter erst recht. Wir wollen schließlich wissen, was los ist. Mittlerweile gibt es eine ganze Industrie, die sich um unser Innenleben bemüht, die uns hilft, Träumen auf den Grund zu gehen, unsere Gefühle zu erfahren und zu verstehen, vergangenem Leben nachzuspüren, kurzum, die uns hilft, Geschichten zu kreieren.

Unsere Geschichten halten uns davon ab, der zu sein, der wir sind und unser Leben jetzt zu leben. Dabei gibt es unser Leben immer nur gerade jetzt und wir verpassen es, wenn wir in unseren Geschichten leben. In unseren Geschichten finden wir die Identität, von der wir glauben, ohne sie nicht auskommen zu können. Dort finden wir die Begründung, warum wir so sind, wie wir sind. Als ich Kind war, bin ich schlecht behandelt worden, darum bin ich jetzt so.

Als ich jung war, hab ich mir mein Leben ganz anders vorgestellt als es tatsächlich gekommen ist. Wenn es so gekommen wäre wie ich gewollt hätte, dann… In einem vorigen Leben habe ich dies oder jenes gemacht und darum muss ich jetzt mit den Folgen leben. Im Laufe meines Lebens habe ich zu wenig Liebe erfahren, daran leide ich jetzt. Mein Partner war schlecht zu mir, darum kann ich jetzt nicht anders. Usw. .Es geht gar nicht darum, schlimme Erfahrungen oder Erlebnisse kleinzureden und Verletzungen zu ignorieren, die jetzt noch wirken. Im Gegenteil, es ist wichtig sie wahrzunehmen, zu klären und auf diese Weise aufzulösen. Aber dann ist es auch gut und ich kann sie ruhen lassen. Ich brauche sie dann nicht mehr für den, der ich bin. Ich bin immer neu jetzt. Oder besser, es ist immer neu jetzt. Das ganze Leben und die ganze Wirklichkeit. Dazu gehört auch das Denken und die Gedanken. Sie entstehen und sie vergehen, wie alles andere auch. Sie haben aber auch die Tendenz, zu erstarren und Strukturen zu bilden, die sich selbstständig erhalten wollen. Das Ich ist eine solche Struktur und damit das Ergebnis von gedanklichen Prozessen und nicht ihre Ursache. Es ist sogar eine notwendige Struktur, um im Alltag miteinander zurecht zu kommen und diese Form, die ich bin zu präsentieren. Wenn ich aber das Leben, das ich bin und ich bin das ganze(!) Leben, darauf reduziere, dann bin ich dieses Gefängnis, dass ich konstruiere. Im Grunde genommen ist mein Ich eine vorübergehende Struktur. Das will ich aber nicht hören. Ich habe Angst vor der Auflösung. Das Ich hat Angst vor der Auflösung. Darum tut es alles, um seine Beständigkeit vorzugaukeln. Wenn ich es dann versuche, los zu werden, taucht es immer wieder neu auf in einer Vielzahl unterschiedlicher Verkleidungen, immer wieder neue Geschichten.

Gerade auch auf dem spirituellen Weg versucht es mich zu überzeugen, dass es nicht mehr da ist, das ich es bereits losgelassen habe. Witzig, wie kann ein Ich sich selbst loslassen? Ich baue mir dann eine neue Identität auf das sich loslassenden oder bereits losgelassenen Ich’s. Dazu lege ich mir eine ganze Bibliothek zu mit immer wieder neuen Büchern zu alten Konzepten, ein neues Outfit, einen neuen Habitus, einen neuen Freundeskreis. Dort fühle ich mich verstanden und aufgenommen. Wir unterstützen uns gegenseitig im Loslassen und tauschen vielerlei Tipps aus, was oder wer gerade „in” ist im Loslassen, wem wir folgen und zum Ziel unserer Projektionen machen können, welches Buch, welches Seminar, welches Event wir noch unbedingt machen müssen, um endgültig loszulassen.

Dabei ist es doch so einfach.

Es ist immer nur dieser Augenblick gerade jetzt. Nur dies ist das Leben. Wo bin ich gerade (?), dieser Atemzug, dieser Ort, diese Zeit.

Stille Nacht

Wenn ich sterbe und ein letztes Mal ausatme, wird es still. Aber um Stille zu erfahren, muss ich gar nicht sterben. Es ist das Ich, das sich loslassen muss, um die Illusion der Existenz von Leben und Tod zu erkennen, damit die große Stille sich in mir ausbreiten kann. Aber wie könnte ich etwas loslassen, das gar nicht existiert? Wenn ich diese Frage beantworten kann, dann ist schon losgelassen.
Die Herausbildung des Ich stellt einen Höhepunkt unserer Evolution dar und scheint ein notwendiger Schritt zu sein, um ganz Mensch zu werden. Die meisten Menschen haben diesen Schritt erst ansatzweise vollzogen. Sie identifizieren sich mit den in ihrer jeweiligen Kultur vorherrschenden Mustern, die sie unbewusst kopieren und verteidigen als vermeintlich persönliche Errungenschaften statt sich selbst auf den Weg zu machen und die eigene einmalige, unverwechselbare Persönlichkeit zu entdecken. Vor allem aber verwechseln Sie eine Konstruktion mit der Wirklichkeit.
Sich zu einem reifen Ich zu entwickeln bedeutet, weitestgehende persönliche Autonomie zu verwirklichen und sich gleichzeitig der eigenen Interdependenz, also seiner Verbundenheit in der Mitwelt und den daraus resultierenden Wechselwirkungsprozessen, bewusst zu sein. Ein reifes Ich erkennt seine Bedingtheit in einer unendlichen Abfolge von Handlungen und Ereignissen. Und es sind nicht nur die eigenen Handlungen. Alle unsere Vorfahren stehen hinter uns.
Nur ein Ich, das tatsächlich Konturen besitzt, kann auch überschreiten werden – hinein in einen größeren Zusammenhang. Ist da noch gar kein Ich, wirft mich mein Transzendieren regressiv zurück auf eine frühere Entwicklungsebene. Geboren werden, heißt voranschreiten und nicht zurückzukehren in den Mutterschoß. Ich bin immer verantwortlich für den, der ich bin. Ich bin für jede meiner Handlungen verantwortlich. Ich bin derjenige, der entscheidet, wohin meine Reise geht, in jedem Augenblick.
Ein transzendiertes Ich behält seine Struktur und Funktionen, ich kann auf all mein Erfahrenes und Gelerntes zurückgreifen, aber ich bin nicht mehr auf mich fixiert. Ich muss mich selbst, meine Persönlichkeit in all ihren Ausprägungen, Spielarten und Verrücktheiten, nicht mehr so ernst nehmen. Es sind Möglichkeiten, aber keine Dogmen, an denen ich verbissen festzuhalten hätte.
Viele unserer Konflikte in der Welt, ob sie untereinander oder in unserem Verhältnis zu Umwelt und Natur bestehen, resultieren daraus, dass wir uns als Menschen viel zu wichtig nehmen, unsere jeweiligen verblendeten Fixierungen für wahr halten und sie als Ergebnis einer vermeintlich freien, persönlichen Entwicklung ausgeben. Wahre Freiheit liegt darin, sich selbst zurückzunehmen.
„Stille heilt“, lautete der Leitsatz von Willi Massa, einem meiner ersten spirituellen Lehrer (8). Hineinzugehen in einen Raum der Stille kann mich wirklich heil machen, in jeder Beziehung. Wie gut tat es, sich mit tausenden anderen jungen Leuten in der Friedenskirche von Taizé zu versammeln und einfach zu schweigen, sich selber zurückzunehmen aus der Geschäftigkeit des Alltags, aus der eitlen Selbstdarstellung, um einfach zu werden, sich zu besinnen, zurückzukehren zu den Wurzeln und sich zu erneuern. Im Zen erfahre ich, dass ich schon immer heil bin.
In meiner Zeit als Wanderführer waren der Besuch der romanischen Kirchlein in der Weite der spanischen Pyrenäen, die Wanderung zur Kirche San Antimo in der Toscana oder ein Verweilen im ehemaligen Zisterzienserkloster von Sernanque in der Provence die Höhepunkte unserer Touren – abgesehen von der Erfahrung der Stille in Landschaft und Natur. Insbesondere die Schlichtheit und Klarheit eines romanischen Kirchenraums können die Bedingungen schaffen, Stille rein sinnlich zu erfahren und zu genießen.
Viele Menschen heute flüchten die Stille. Sie können gar nicht mehr ohne einen stetigen Geräuschpegel, ohne ständig laufenden Fernseher zuhause oder die Musik unterwegs über unsere Smartphones. Sie werden von Angst ergriffen, sobald das Unterhaltungs- und Ablenkungsprogramm versagt. Ich kenne Kinder, die in Panik ausbrechen, wenn nachts in ihrem Zimmer der Fernseher nicht läuft.
Wer sich weiterentwickeln will, muss erst einmal lernen, sich sich selbst zu stellen, hinzuschauen, was ist und sich annehmen, um dann loszulassen und weiterzugehen. Die Erfahrung eines geschützten Raumes in Stille, in einer Kirche, einem Kloster oder beim Sitzen im Za-Zen im Zendo, kann dabei helfen, die eigentliche, die innere Stille zu entdecken und zu verwirklichen. Diese wahre Stille ist immer da und hat mich nie verlassen.
Wenn ich die GROSSE STILLE erfahre, dann spüre ich mein Einssein mit der QUELLE, dem URSPRUNG, der LEERE, der LIEBE, mit GOTT. Und dann gibt es aber auch diese missverständlichen Begriffe nicht mehr. Wenn ich im Auge des Zyklons verweilen kann, dann trage ich seine Stille auch in jeden Augenblick meines Alltags, mag dort der Sturm noch so sehr toben.

„Stille Nacht, heilige Nacht!
Gottes Sohn, oh wie lacht
Lieb aus deinem göttlichen Mund“,

heißt es in unserem berühmten Weihnachtslied.
Weihnachten kann eine Zeit der STILLE sein.
Und aus ihr wird die LIEBE geboren.
Wenn Du still wirst, kannst Du es verstehen!

Weihnachten

Ich teile hier mal einen Beitrag von meiner Dharma-Schwester Doris Zölls

Impuls zum Thema „Von wegen heile Welt:
Warum Weihnachten feiern trotzdem so wichtig ist“
Von Doris Zölls
 
„Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren
und nicht in dir,
du bleibst noch ewiglich verloren“
(Angelus Silesius)
 
 
Höre ich die Nachrichten, bin ich jedes Mal zutiefst erschüttert, ja fassungslos, welche Grausamkeit unter den Menschen herrscht. Gier und Hass, Neid und Überheblichkeit und nicht zu vergessen, eine unglaubliche Dumpfheit zieht sich durch unser Menschsein.
 
Und nun steht Weihnachten vor der Tür, das Fest der Liebe. Es scheint wie ein Hohn, an ein paar Tagen eine schöne, heile Welt vorzugaukeln und man könnte sich fragen: Sollte man nicht ehrlichkeitshalber das Fest weglassen? Oder das Fest lieber dazu nutzen, um auf all die Ungerechtigkeiten dieser Welt hinzuweisen, was dem Festcharakter und der feierlichen Stimmung nicht zuträglich wäre.
 
Ich glaube, Weihnachten zu feiern, ist wichtiger denn je. Im Alltag sind wir so in unseren Aufgaben verstrickt. Wir werden von unserem nörgelnden Geist, der mit nichts zufrieden ist, vereinnahmt. Wie befreiend wäre es, uns wenigstens an den Feiertagen aus diesem „normalen“ Leben mit seinen Streitigkeiten und Grausamkeiten herauszunehmen. In den wenigen Tagen hätten wir die Möglichkeit, uns zu besinnen, worum es im Leben wirklich geht, welche Chance wir als Mensch haben und welche Verantwortung. Weihnachten steht als Fest dafür, uns klar zu machen, dass wir Menschen zu Liebe fähig sind und sie auch verwirklichen können.
 
Wir brauchen keine „Raubtiere“ zu sein. Wir haben eine ganz andere Natur. Wir haben die Natur eines Kindes, das sich absichtslos, frei und offen dem Leben in jedem Augenblick vertrauensvoll hingibt. Diese Natur lässt uns lächeln, stimmt uns milde und freundlich. Schauen Sie nur in einen Kinderwagen und denken an nichts, gleich verändert sich Ihre Stimmung, die verbissenen Lippen werden weich, die Härte verschwindet aus dem Gesicht.
 
 
Der große Zen-Meister Dogen Zenji schrieb, wenn wir Zazen praktizieren, praktiziert es der ganze Kosmos. Entfalten wir den friedfertigen Geist, entfaltet er sich auf der ganzen Welt.
Diese Aussage macht Ernst mit der Erkenntnis, dass wir alle miteinander verbunden sind, wir sitzen alle in einem Boot. Wie ein Netz sich bewegt, wenn ich nur an einem Knoten ziehe, so bewegt mein Denken das ganze Gedankennetz der Welt.
Mein Denken und Handeln wirkt sich auf das Denken aller aus. Doch wir haben verlernt auf unser Denken bewusst Einfluss zu nehmen. Gier, Angst und Hass fressen es auf und dann wundern wir uns, dass die Welt davon durchtränkt ist. Unsere Gedanken zu beherrschen, ihnen nicht einfach freien Lauf zu lassen und sie auch noch zu Worten und dann Taten werden zu lassen, ist unsere Verantwortung, die wir für diese Welt haben.
 
Weihnachten ist eine Gelegenheit, zu üben, diese destruktiven Gedanken zurückzustellen.
Wir werden die Wirkung in uns und auch bei anderen schnell merken. Daher möchte ich Mut machen, Weihnachten und auch die anderen Tage zu nutzen, darauf zu achten, dass sich herabsetzende und verurteilende Gedanken nicht unseres Denkens bemächtigen.
Stattdessen möge die Offenheit, die Absichtslosigkeit, das Vertrauen und die Freundlichkeit unseres inneren Kindes in uns Raum einnehmen! Die Anlage dazu haben wir, wir brauchen sie nur zu nutzen. Oder wie Rilke einst schrieb: „Du musst das Leben nicht verstehen, dann wird es werden wie ein Fest. Und lass dir jeden Tag geschehen so wie ein Kind im Weitergehen von jedem Wehen sich viele Blüten schenken lässt.!