Wir sind überrascht worden und wurden jäh aus unserem Marathonlauf gerissen. Wieder einmal sah so aus, als würde es immer so weitergehen mit unserer Art und Weise, zu leben und zu wirtschaften. Trotz dieses milden Winters mit allen seinen Wetterkapriolen, trotz der gewaltigen Buschbrände in Australien und trotz aller Anzeichen für einen bevorstehenden bedeutenden und unumgänglichen Klimawandel.
Nicht die Einsicht hat uns anhalten lassen, obwohl wir wussten, dass es so nicht weitergehen kann. Ein simpler Virus hat uns dazu gezwungen. Und nun wissen wir gerade nicht so recht, wie es weitergehen kann. So eine Situation haben wir noch nie erlebt, und wir leiden unter dem Verlust von gewohnten Sicherheiten im Alltag. Nichts scheint mehr so, wie es war. Und über allem die Ungewissheit, wann wir zu unserem gewohnten Leben zurückkehren können?
Wenn diese Pandemie irgendwann vorübergegangen ist, so wie alle Pandemien irgendwann vorübergehen, fürchten wir uns vor den Folgen, Wirtschaftskrise, soziale Verwerfungen, Verlust von Arbeitsplatz, Einkommen, Vermögen, Status.
Wir haben Angst, Angst auch vor dem Sterben, Angst, unsere Liebsten zu verlieren. Bei manchen ist diese Angst zu einer regelrechten Panik geworden.
Zu recht trauern wir jetzt um all die vielen, die früher sterben müssen wegen einem Virus, den wir (noch) nicht kontrollieren können. Viel intensiver als sonst wird uns die Verletzlichkeit unseres Lebens klar.
Angst ist ein schlechter Ratgeber und einige haben gar begonnen, sie zu schüren, um Macht und Kontrolle auszuüben, Unsicherheit und Verwirrung zu stiften, warum auch immer. Statt zusammenzustehen und gemeinsam diese Herausforderung zu bewältigen, die einzig sinnvolle Handlungsweise, werden längst überwunden geglaubte Grenzen neu errichtet, Schuldige gesucht, identifiziert und stigmatisiert. Und der allgegenwärtige Hass innerhalb unserer sozialen Medien ist Ihnen sicher.
Natürlich, vielerorts gibt es auch eine überbewältigende Hilfsbereitschaft, neue Formen von Verbundenheit entstehen und die jenigen, die mit der unmittelbaren Bewältigung der Krise zu tun haben, die die Kranken und Infizierten pflegen, arbeiten bis zum umfallen.
Überhaupt unsere Medien, unsere Wirklichkeit ist ungeheuer komplex und auch dieses Problem und seine möglichen Bewältigungsstrategien sind überaus komplex. Leider habe ich den Eindruck, dass die zwar nicht ausgeschlossenen aber schlimmstmöglichen Szenarien immer wieder als Aufmacher dienen müssen, um sich im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit gegenseitig zu übertrumpfen. Es ist schlimm, heißt es, aber es kommt noch viel schlimmer!
Wenn wir immer auf diese Weise unser Leben leben würden, uns ständig damit konfrontieren müssten, was schlimmstenfalls passieren könnte, dann wäre Leben, so wie wir es kennen, nicht mehr möglich. Jeder von uns kann jederzeit durch ein äußeres Ereignis oder durch eine plötzlich auftretende gesundheitliche Krise in Lebensgefahr geraten und versterben.
Auf keinen Fall möchte ich mit meinen Worten das Leid derjenigen schmälern, die aufgrund dieses Virus gerade sterben müssen oder die Menschen verlieren, die sie lieben. Wir müssen alles tun, was möglich ist, diese Krise zu überwinden. Und da wir nicht sicher wissen können, was wirklich nötig ist, probieren wir halt vieles aus. Mit den damit verbundenen Einschränkungen unserer persönlichen Freiheit, müssen wir eine Weile leben können. Dennoch müssen wir nachfragen dürfen und stichhaltige Gründe dafür einfordern können, warum bestimmte Einschränkungen sinnvoll sind.
Für diejenigen, die jetzt nicht unmittelbar in der Bekämpfung dieser Krise eingesetzt sind, als Wissenschaftler oder Pflegekräfte, bedeutet diese Krise auch viel freie Zeit. Zeit die wir nutzen können, um innezuhalten, uns zu klären und neu zu orientieren.
Unsere vielerorts geschundene Mitwelt hat gerade zwangsweise eine Atempause. Es besteht aber die Gefahr, dass wir nach der Krise genau so weitermachen wie vorher. Gerade weil wir dann voraussichtlich Millionen von Arbeitslosen haben und noch mehr Menschen in existenzieller Not, können wir erst recht auf unsere Mitwelt keine Rücksicht mehr nehmen.
So könnte es sein, aber wir könnten diese freie Zeit jetzt auch nutzen, kreativ an alternativen Konzepten zur Gestaltung unseres Alltagslebens zu arbeiten. Konzepte, die sich dann in ihrer Durchführung weniger schädlich auf das Leben unsere Mitwelt auswirken aber auch bei uns selbst zu einem erfüllten Leben führen.
Was könnte das sein? Zunächst einmal müssen wir so umfassend wie möglich wahrnehmen, was ist. Vor allem müssen wir uns unserer Angst stellen. Angst lässt sich nicht mit Appellen und auch nicht durch eine rationale Einsicht aufheben. Angst ist existenziell und ganz tief in unserer Persönlichkeit verankert. Wir können sie nur verändern, indem wir sie wahrnehmen und annehmen. Angst taucht dann auf, wenn wir uns bedroht fühlen, genauer, wenn wir uns in unserer Identität bedroht fühlen.
Jeder von uns hat eine ganz bestimmte Vorstellung darüber, was er ist und wer er ist. Jeder kann darüber eine Geschichte erzählen von seinem leiblichen, seelischen und geistigen Dasein, von dem, was er spürt, fühlt und denkt. Von seiner individuellen aber vor allem auch kollektiven und sozialen Existenz, von all den Beziehungen und Miteinandersein, der Familie, den Partnern, den Freunden.
Diese Identität ist gebunden an die Vorstellung von einem unabhängigen, selbstständigen und getrennten Ich. Ich stehe der Welt gegenüber, bin bestenfalls in Beziehung zu ihr und all denjenigen, die mir wichtig und lieb sind und deren Verlust ich fürchte.
Fürchten tue ich aber auch den Verlust meines Status, meinen Besitz, meinen Einfluss. Dort liegt die Quelle, der Ursprung meiner Angst. Ich kann verlieren, schlimmstenfalls mich selbst, mein eigenes Leben. Auch wenn ich weiß, das es irgendwann zu Ende ist, allzu viel möchte ich mich damit nicht beschäftigen. Ich möchte gerne bleiben, was ich zu sein meine. So geht es jedenfalls den meisten und es ist völlig natürlich, dass wir an diesem unserem Leben hängen und es erhalten möchten.
Vergangene Woche starb mein lieber Freund und Begleiter, mein Lehrer und Meister Willigis Jäger.
Kurz davor war er 95 Jahre alt geworden und bereit zu gehen. In diesem Alter, so sagen wir, ist das Leben doch gelebt. Und doch sind wir, die ihm nah standen traurig über diesen Verlust. Wir hätten ihn gerne noch eine Weile länger gehabt.
Wenn wir ganz genau hinschauen, und das können wir umfassend nur in dieser einfachen Übung des Sitzens in Stille, erfahren wir, dass unsere Alltagsperspektive von Enge bestimmt ist. Erst mit fortgesetzter Übung erleben wir eine Weite, die uns nach und nach erfahren lässt, wer wir wirklich sind.
Diese Enge ist nichts anderes als Angst. Wenn wir die Weite spüren, verlieren wir die Angst. Das mag dauern, aber dieser Prozess vollzieht sich im Rhythmus unseres Atems. Es geht nicht darum, sich etwas vorzustellen oder einzubilden, es geht nicht darum, etwas zu tun. Es geht einfach darum, den Atem zu schauen und zu spüren, ihn anzunehmen wie er kommt und geht.
Und so nehme ich in jedem Einatem meine Angst an und in jedem Ausatem lasse ich sie los. Sprachlich ist das nicht so leicht auszudrücken, wie gesagt, es geht nicht darum, dass ich es mache sondern es geht darum, sich diesem Atem zu überlassen.
Nach und nach löst sich auf diese Weise unsere Angst auf, die Enge verschwindet und eine Weite stellt sich ein. Es ist die Identifikation, die sich auflöst mit dem, was ich bisher glaubte zu sein.
Ich bin dann immer noch dieser Mensch in dieser Erscheinungsform. Aber ich erlebe mich dann nicht mehr reduziert auf diese Form. Ich erlebe mich vielmehr als das Leben, welches sich gerade in dieser meiner Form ausdrückt und vor allem aber, das es sich in jeder Form ausdrückt. Immer das gleiche eine Leben. Ich bin immer das gleiche eine Leben.
Und so werde ich gewiss, die Formen des Lebens verändern sich ständig aber das Leben bleibt. Gleich, was mir passiert. Irgendwann wird diese Form, die ich bin vergehen, aber das, was ich eigentlich bin, vergeht nicht. Das ist ewiges Leben, nachdem wir uns so sehr sehnen. Es geschieht uns nicht erst wenn wir gestorben sind. Es ist jetzt schon und für immer da.
Innehalten jetzt ist eine Chance uns zu besinnen und neu zu orientieren, unsere Angst zu spüren und aufzulösen und dann mutig ein Leben zu gestalten, das von Verbundenheit und Mitgefühl gekennzeichnet ist. Ein Leben, das nicht aus lauter Angst kompensieren muss zulasten unserer Mitwelt.
Wir können noch so viel tun, wir haben noch so viel zu tun. Wenn wir erfahren,
wer wir wirklich sind, tun wir es in Liebe
als die Liebe,
die wir immer schon sind.