Es scheint so zu sein, dass es im Buddhismus um ein Ziel geht, das zu erreichen ist: „Aufwachen“, „Erwachen“ oder vielfach zu lesen und zu hören „Erleuchtung“.
Dem historischen Buddha Shakyamuni war eben dieses Aufwachen nach einer langen und entbehrungsreichen Suche widerfahren. Aus dieser Erfahrung heraus versammelte er viele Schüler um sich und versuchte, diesen auf vielfältige Art und Weise seine Erfahrung nicht nur nahezubringen sondern sie vor allem dazu zu befähigen, eine identische Erfahrung zu machen. Im Laufe der Geschichte entstanden, abhängig von jeweiligen historischen Kontexten, unterschiedlichen kulturellen, sozialen, gar politischen Einflüssen, aber auch von den didaktischen Fähigkeiten einzelner Erwachter, eine Vielzahl unterschiedlicher Pfade mit einem Ziel.
Diese bilden auch heute noch dieses weite Feld praktischer Übungen, philosophischer Spekulationen und religiöser Abhandlungen und Rituale, welches wir im Westen als Buddhismus eher weniger als mehr kennen. Je nach Ausrichtung und Lehre einer buddhistischen Schule wird das Erreichen des Ziels entweder wenigen Auserwählten, vielen eifrig Übenden oder gleich allen Lebewesen verheißen.
Unabhängig von einer besonderen spirituellen Erfahrung führt die Befolgung des achtfachen Pfads, der weiteren daraus abgeleiteten Gebote und ethischer Normen zu einer harmonischen, ausgeglichenen und friedlichen Lebensführung, die wir, verstärkt durch unsere Projektionen, bei Buddhisten so schätzen.
Zusammengefasst, es gibt ein Ziel, das zu erreichen und zu verwirklichen ist. Dieses Ziel liegt in einer Zukunft, dorthin zu kommen bedarf einer Anstrengung. Einmal erreicht, ist alles gut.
Ganz anders das Verständnis des Zen. Zen ist nicht Buddhismus, auch wenn es als eine kleine Schule innerhalb des Buddhismus gilt und sich in seiner Tradition über das Erwachen Shakyamuni Buddhas und bei Buddha beginnend mit der persönlichen Übergabe dieser Erfahrung (von Herz zu Herz) von Meister zu Meister legitimiert. Vielfach sind Zen und Buddhismus in der historischen Überlieferung auch derart verschränkt, das häufig von Zen-Buddhismus die Rede ist und in der Präsentation und der Praxis vor lauter buddhistischer Inhalte und Rituale das Wesen des Zen nicht oder nur schwer zu erkennen ist.
Das Zen hat nämlich einen ganz anderen Ansatz. Es geht sehr wohl um Erfahrung, aber um die Erfahrung als solches in diesem Augenblick, um die Erfahrung dessen, was ist und wie es ist, also ohne Vorstellungen, Konzepte und Illusionen.
Es geht dabei nicht um einen Schulungsweg, der über das Studium von Schriften und ihrer Rezitation, der Ausübung von Ritualen, dem Befolgen von Geboten und dem Durchlaufen hierarchischer Strukturen irgendwann ein spirituelles Erfolgserlebnis verspricht.
Es geht vielmehr um eine jederzeit mögliche, unmittelbare Erfahrung dessen, was von Anbeginn und unendlich ist, die ungeteilte und unteilbare, grundlose Einheit, das „nicht-zweiende“ des Augenblicks, alles und jedes einschließend, umschließend und kreierend. Eine Einheit, die sich in jedem Phänomen als dieses Phänomen ausdrückt. Darum im Zen auch als Leere bezeichnet.
Es gibt im Zen also nichts zu erreichen, weil schon alles erreicht ist. Erwachen ist unser natürlicher Zustand. Ich kann also gar nicht aufwachen, ich kann nur realisieren, dass ich bereits erwacht bin. Darum geht es in der Übung.
Wir sitzen also nicht, um zu, auch wenn es in der Art der Formulierung so scheint, als gebe es etwas in der Zukunft zu realisieren. Es gibt keine Zukunft, in der eine wie auch immer geartete Belohnung für meine Mühen warten würde. Das klingt paradox und unverständlich und offenbart sich eben erst in der Übung.
Es geht immer nur um die Präsenz im Augenblick, gleich ob sinnlich erspürt, gefühlsmäßig erlebt oder gedanklich abstrahiert. Mein Nicht-Verstehen ist es auch schon und war es schon immer.
Solange ich meine notwendige Ich-Struktur und ihre Fähigkeit, diese Welt zu erkennen und über Vorstellungen und Konzepte zu gestalten, verabsolutiere und damit trenne von der mich konstituierenden, ursprünglichen und offensichtlichen alles umfassenden Wirklichkeit als solche, fällt mir die Einsicht schwer. Im einfachen und vollkommenen Sitzen, unserem Za-Zen, aber tritt diese Ich-Struktur zurück und es bleibt nur sitzen und atmen in absoluter Stille. Da ist dann wirklich kein Ich mehr, das irgendwo herausfallen könnte.
Das gilt auch, obwohl es vielen Zen-Schülern so scheint, es gebe doch über Koan-Schulung und hartes Training in Sesshins eine Art von Erwachen, das man sich erarbeiten könnte. Es geht aber im Grunde nur um ein Ringen um Täuschungen, auf die wir so gerne immer wieder hereinfallen. Die Täuschung, einmal durchschaut, löst sich auf, genau in das Nichts, das sie schon immer war.
Zen ist also total radikal, lehnt jede Spekulation und jeden besonderen Ausdruck ab, aber auch jede Institution, jede Tradition, jede Moral. Dennoch gibt es Zen-Traditionen, Zen-Tempel und Zen-Mönche. Sie können wunderbare Offenbarungen der Leere sein, sind aber nicht wichtiger oder wesentlicher als dieser Stein dort oder jener Baum, unserer Luft zum Atmen und unser Niesen, wenn etwas in der Nase kitzelt.
Zen wurzelt im Gewöhnlichen und Alltäglichen. Vor allem aber in dem Einem, Einzigen und Einenden. Ein anderes Wort dafür ist Liebe. Daraus entsteht Mitgefühl. Was könnte noch darüber hinaus gehen?