Ein Anschlag folgt auf den anderen. Immer sterben Menschen dabei, die ihr Leben noch lange weiterleben, ihre Möglichkeiten verwirklichen wollten. Kein Tag vergeht, ohne das irgendwo auf der Welt Menschen von anderen Menschen angegriffen und grausam getötet werden. Wer gibt den Tätern das Recht, anderen ihr Leben zu nehmen?
Solange wir das nur in den Nachrichten hörten, konnten wir uns recht gut davon abwenden, mittlerweile kommen die Einschläge aber immer näher und viele bei uns fühlen sich bedroht und verunsichert. Überall kann es einen treffen, Hysterie breitet sich aus, es scheint keinen sicheren Ort mehr zu geben und die meisten Medien tun alles dafür, sich in den Dienst der Täter zu stellen, denen es um maximale Aufmerksamkeit geht. Diese scheuen ihren eigenen Tod nicht und versuchen dabei so viele andere Menschen wie möglich mitzunehmen. Weder Kinder noch Alte werden verschont und auch ein Glaubensbekenntnis, egal in welcher Richtung ist keine Garantie auf das Überleben. Wenn der Hass einmal entzündet ist, scheint er sich erst im eigenen Verlöschen aufzulösen, gleich ob jemand in einer persönlichen Krise Amok läuft oder aus ideologischen Gründen Angst und Schrecken verbreiten will.
Wie ist das möglich? Was sind das für Monster? Wie können diese Menschen nur so unmenschlich sein? Was heißt überhaupt „unmenschlich“? Sind es nicht gerade wir Menschen, die diese Taten vollbringen? Oder hat es im Laufe der Evolution jemals ein solch grausames und unbarmherziges Wesen gegeben wie uns?
Andererseits hat jeder von uns eine bestimmte Vorstellung von Menschlichkeit. Wir wissen also tief drinnen in uns selbst, was wir zu tun zu haben, um unserer eigentlichen Bestimmung als Mensch zu folgen. Wir wissen intuitiv von richtig und falsch und wir kennen den Weg des Mitgefühls und der Barmherzigkeit. Warum dann nur folgen wir immer wieder unserer Gier, unserem Hass und unserer Sehnsucht nach Tod und Zerstörung? Oder würden „wir“ das nie tun? Sind es immer nur die anderen, Monster eben, böse, krank, ideologisch fixiert?
Wenn wir davon ausgehen, dass wir die Lebensform sind, in der das Leben sich selbst zu erkennen sucht, so ist uns auch die Freiheit gegeben, sich gegen das Leben und damit gegen uns selbst zu wenden. Wir sind der evolutionäre Versuch, die Liebe zu erkennen, die uns geboren hat und in dieser Erfahrung aufzuwachen und ihr gemäß zu handeln. Da wir uns dieser Erkenntnis aber auch verweigern können oder sie nur rudimentär vollziehen und falsch interpretieren, sind wir aus der uns gründenden Ein-heit in den Zwei-fel gefallen und stellen uns der Wirklichkeit gegenüber statt in ihr zu wirken. Diesen Verlust der Einheit, unserer „Vertreibung aus dem Paradies“ versuchen wir mit der Vorstellung eines Ichs zu kompensieren, dass als substanzielles Subjekt mit einer getrennten und überwiegend fremden, wenn nicht gar feindlichen Umwelt konfrontiert wird, die um des eigenen Überlebenswillen beherrscht und unterworfen werden muss.
Nun gibt es uns als Spezies Mensch schon ein Weilchen und wir haben uns im Laufe der Evolution zivilisiert und fallen in der Regel nicht mehr über jeden her, der vorüberläuft. Wir haben gelernt, zu kooperieren und nutzen das zur Bildung kleiner und größerer Gemeinschaften, um sich effektiver vor tatsächlichen oder eingebildeten Gefahren zu schützen. Der Überlebenskampf läuft nun subtiler und ist häufig einem Wettbewerb gewichen, in dem es nicht mehr um Leben oder Tod sondern nur noch um Macht und Einfluss geht, allerdings immer auf Kosten anderer. Wir konkurrieren um Besitz, Sex und Kontrolle. Dabei gibt es nur wenige Gewinner, die allerdings früher oder später erschreckt feststellen müssen, das Schönheit wie Macht wie Reichtum vorübergeht, vor allem aber das Leben und das das Sterben auch eines noch so mächtigen Egos vielleicht aufzuhalten aber nicht abzuwenden ist. Am Ende schufen all die Gier und all die Leidenschaften nur das, was letzteres im Wort schon impliziert, also doch Sisyphos?
Zurück zu den Monstern, die wir mit diesem Begriff aus unserer Menschlichkeit ausschließen wollen, weil sie sich doch so sehr aus ihr entfernt haben. Aber wie sehr unterscheiden wir uns tatsächlich von diesen Mördern, die sich in eigener Glorifizierung das Recht herausnehmen, über Leben und Tod zu entscheiden?
Wie stark ist eigentlich diese zivilisatorische Schicht in uns uns und wie flüchtig ist sie, sieht man sich nur mal die Konflikte der vergangenen Jahrzehnte an, in denen hochzivilisierte Gesellschaften in kürzester Zeit zusammenbrachen und ihre Mitglieder auf grausamste Art und Weise übereinander herfielen und es gerade jetzt auch tun? Alles Monster? Und es ist nicht immer eine Ideologie oder eine Religion, in deren Namen das geschieht. Diese müssen nur immer wieder herhalten, um Menschen zu verdummen und zu entmündigen statt sie zu eigener Erfahrung und eigener Verantwortung zu führen.
Gier, Hass und Verblendung scheinen grenzenlos und sie sind in jedem von uns, solange wir uns von unseren Vorstellungen blenden lassen, ein getrenntes Individuum zu sein. Vor ein paar Jahren wurde einer meiner wichtigsten Lehrmeister, Frère Roger de Taizé ermordet, von einer Frau, die anschließend als geistesgestört bezeichnet wurde und dann strafrechtlich als nicht verantwortlich galt. Ein Monster? Niemand hat das Recht, einem anderen sein Leben zu nehmen, aber das gilt immer und überall und auch für diejenigen, die sich nicht daran halten. Zwei Jahre nach der Ermordung von Frère Roger, tötete ein Freund und Nachbar auf besonders grausame Weise seine Kinder und seine Frau. Er galt nicht als geistig gestört, war auch nicht ideologisch oder religiös motiviert und galt bis zu seiner Tat als unauffälliges Mitglied unserer Gesellschaft und hatte als Pädagoge und Therapeut gearbeitet. Ein Monster?
Wir müssen sehr achtsam in uns selbst hineinschauen, um unsere Gefühle von Angst und Verzweiflung, von Kränkung und Verletzung zu klären, bevor sie sich als Monster nach außen richten. Wir müssen herausfinden, wer wir wirklich sind. Immer wieder, immer weiter, immer tiefer. Tun wir das nicht, laufen wir zumindest Gefahr, irgendwann die Kontrolle über unsere Aggressionen zu verlieren. Attentäter und Terroristen sind immer auch gekränkte und verletzte Seelen und nicht nur ideologisch verführte Menschen. Es ist ihnen nicht gelungen, sich von ihren Erfahrungen und daraus entstandenen Gefühlen zu lösen, mehr noch, sie instrumentalisieren sie oder lassen sich instrumentalisieren, um ihr eigenes Leid möglichst vielen anderen zuzufügen und sich zu rächen. Sie sitzen fest in dem engen Tunnel Ihrer Vorstellungen und pumpen soviel Energie darein, bis sie im wahrsten Sinne auseinanderliegen.
Aus unserer Zen-Erfahrung wissen wir, ein jeder von uns ist das ganze Leben, dass sich jeden Augenblick in einer unendlichen Vielzahl von Formen und Ereignissen zeigt. Damit schließen wir aber auch jeden Mörder und jeden Terroristen ein, als Gedanke nicht nachvollziehbar. Es gibt im Grunde keinen Unterschied. Ein jeder ist aus der Liebe geboren und niemand fällt aus ihr heraus, mag er auch noch so sehr von seinem Hass bestimmt sein oder sich einfach zum selbstlosen Werkzeug verbohrter Ideologen zu machen, die einen aus klimatisierten Hotellobbys in den Tod schicken.
Jeder ist für sich selbst verantwortlich und damit auch dafür, zu seinem wahren Wesen aufzuwachen und das zu tun, was zu tun ist. Das gelingt häufig nicht, auch wenn die Folgen in den allermeisten Fällen nicht so dramatisch sind, aber immer mit Leiden verbunden. Wenn wir nicht genau hinschauen, tragen wir das Monster in uns und stärken es, wenn wir uns von ihm abgrenzen und es zu verdrängen versuchen. Es in sich zu erfahren und sich dem eigenen Schatten zu stellen, löst es auf. Wir können dem Schmerz nicht entkommen, aber wir müssen ihn nicht festhalten.
Das sind provozierende und verwirrende Aussagen, denen wir mit unserem normalen Verstand nicht folgen können. Im wahren Wesen gibt es kein Richtig oder Falsch, aber auch kein Leben und kein Sterben. Sterben kann immer nur diese eine Form, dieser eine Körper, der wir sind. Kein Grund, darauf Einfluss zu nehmen. Wir sind das Leben, dass sich zu verwirklichen sucht. Dem sollten wir mit ganzem Herzen folgen.