Radikale Akzeptanz 

Verändern, was zu verändern ist und annehmen, was nicht zu verändern ist. Diese simple Handlungsanweisung ist auch Richtschnur auf unserem spirituellen Weg. In ihr verbirgt sich weit mehr, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Ihren Schatz, ihr gesamtes Potential offenbart sie erst, wenn ich wirklich übe und damit umsetze, was gemeint ist. Es gibt vieles in meiner Wirklichkeit, das ich verändern möchte und verändern kann, bei mir selber angefangen, mein Selbstbildnis, Gedanken, Bilder, Emotionen, mein Verhalten, meine Beziehungen, meine Arbeit. Jede Veränderung braucht Energie und Zeit. 
Es gibt aber noch mehr, was ich nicht verändern kann und annehmen muss. Das sind viele gegebene Umstände, die unveränderlich sind oder die ich bewusst nicht ändern will, weil mir eine Veränderung mehr Angst macht, als Leidensdruck entsteht, wenn ich die Situation aushalte. 

Leidensdruck entsteht aber vor allem, wenn ich eine unveränderliche Situation nicht akzeptieren, nicht annehmen will. Das kann eine schreckliche existentielle Bedrohung sein, der Tod eines Angehörigen oder der eigene Tod, eine schwere Erkrankung, Schmerzen oder auch die eigene Partnerschaft oder die Arbeit. Im Grunde genommen alles, mit dem ich konfrontiert bin und ablehne. Wenn ich die Wirklichkeit so wie sie gerade ist, ablehne, leide ich an meinem ganzen Leben. Erst in der Annahme löst sich mein Leiden auf. 

Das heißt eben nicht, alles gutzuheißen und klaglos hinzunehmen sondern es heißt, die richtige Reihenfolge zu beachten. Auch das, was zu verändern möglich ist, musst ich erst einmal akzeptieren. Also genau anschauen und beobachten, um überhaupt zu erfahren, worum es sich handelt. Das gilt für Gedanken und Gefühle genauso wie alle Erfahrungen meiner äußeren Welt. 

Alles andere wäre auch eine Aufspaltung meiner Lebenskraft, meiner Energie. Ich würde einen Teil in meinem Widerstand investieren gegen das, was ist. Einen anderen Teil müsste ich dann für das Aushalten reservieren, gerade dann, wenn ich einer Situation bin, die ich nicht sofort ändern kann. Was bleibt mir dann noch übrig an Kraft, um zu verändern? Was nützt es mir, wenn ich zum Beispiel mich entschieden habe, einer bestimmten Arbeit nachzugehen, diese dann aber permanent ablehne? Was nützt es mir, wenn ich ständig mit meinen Gedanken und Gefühlen um das kreise, was bereits geschehen ist und was ich nicht mehr verändern kann? 

Unermessliches Leid entsteht eben zusätzlich durch mein nicht-annehmen-wollen, egal ob es Schmerzen sind, kaum zu ertragende Gedanken oder Gefühle, schreckliche äußere Ereignisse usw.. Natürlich ist es viel angenehmer, sich Freude und Glück gegenüber zu öffnen aber auch diese werde ich nicht in ihrer Fülle erfahren können, wenn ich mich dem Leben in all seinen Facetten verschließe. 

Radikale Akzeptanz ist letztlich ein liebevolles Hinnehmen, ein Überlassen an das, was ist, ein Aufgehen. Ich verliere mich dabei nicht, im Gegenteil, ich gewinne mein Leben, das Leben als solches, das sich mir jeden Augenblick in einer unendlichen Fülle offenbart. 

Mein Atem ist das Instrument, auf dem ich mich spielen lasse. Ich atme ein, ich atme aus, jeden Augenblick neu. Und jedes Einatmen ist nichts anderes als annehmen und jedes Ausatmen nichts anderes als loslassen. 

Wenn ich mich verweigere, stockt mein Atem, wenn ich mich seinem Fluss anvertraue, gibt es auch kein Leid mehr. Dann bin ich voll da, um das zu tun, was zu tun ist und das zu verändern, was möglich ist, zu verändern. Für unser aller Leben.